Leitsatz (amtlich)
1. Ist bei einem Verkehrsunfall ein Neufahrzeug erheblich beschädigt worden, kann der Geschädigte Klage auf Feststellung erheben, dass der Haftpflichtversicherer nach Erwerb eines äquivalenten Neufahrzeugs zur Erstattung der Kosten für die Anschaffung eines Neufahrzeugs verpflichtet ist.
2. Nutzt der Geschädigte das Unfallfahrzeug länger als sechs Monate anstatt einen Neuwagen zu erwerben, ist sein besonderes Integritätsinteresse an einem Neuwagen im Regelfall widerlegt. In diese Regelfrist ist der Zeitraum der Schadensregulierung nicht einzubeziehen.
3. Für die Zeit der Schadensregulierung muss sich der Geschädigte keinen Abzug dafür anrechnen lassen, dass er das Unfallfahrzeug weiter genutzt hat.
Normenkette
BGB § 249; StVG § 7; ZPO § 256
Verfahrensgang
LG Rottweil (Urteil vom 21.07.2017; Aktenzeichen 4 O 84/15) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 21. Juli 2017 - Az. 4 O 84/15 - in Ziffer 1 der Urteilsformel wie folgt gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger gegen Vorlage einer Originalrechnung den Rechnungsbetrag (bis zu einer maximalen Höhe des Listenpreises des Herstellers in Höhe von 41.547,39 Euro) für ein identisch ausgestattetes Fahrzeug VW Golf, welcher über den Betrag von 5.420,94 Euro hinausgeht, Zug um Zug gegen Übereignung des Pkw VW Golf Fahrzeugidentnr. (...) zu ersetzen, wenn der Kläger den Kaufvertrag über den Erwerb des Neufahrzeugs bis spätestens fünf Monate nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils verbindlich abschließt.
Ziffer 2 der Urteilsformel des vorgenannten Urteils des Landgerichts Rottweil vom 21. Juli 2017 wird aufgehoben.
Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das angefochtene und das vorliegende Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: bis zu 30.000,00 Euro.
Gründe
A. Der Kläger verlangt vom beklagten Versicherer die Feststellung, dieser sei Zug um Zug gegen Übereignung des Unfallfahrzeugs zum Ersatz der Kosten für ein gleichwertiges Neufahrzeug verpflichtet.
I. Der Kläger erwarb am 12. Mai 2015 einen neuen Pkw VW Golf zum Preis von brutto 35.372,37 Euro unter Berücksichtigung eines Sonderrabattes für seine Zugehörigkeit zur Segelflug-Nationalmannschaft in Höhe von 20 %. Zehn Tage später, am 22. Mai 2015, wurde dieses Fahrzeug nach einer Laufleistung von 845 km bei einem Auffahrunfall beschädigt. Die Einstandspflicht der Beklagten für die Folgen des Verkehrsunfalls ist zwischen den Parteien dem Grunde nach unstreitig. Mit Anwaltsschreiben vom 15. Juni 2015 verlangte der Kläger die Erstattung der Kosten für ein äquivalentes Neufahrzeug. Am 21. August 2015 wies der Kläger durch ein weiteres Anwaltsschreiben darauf hin, dass ihm die finanziellen Mittel für die Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs fehlten, und forderte die Beklagte "nochmals letztmalig" auf, ihre Ersatzflicht anzuerkennen (Anlage K 2). Zugleich bot er die Übereignung des Unfallfahrzeugs an und wies darauf hin, dass er den Sonderrabatt wegen seines bevorstehenden Ausscheidens aus der Nationalmannschaft nur noch bis September 2015 nutzen könne. Die Beklagte hat vorgerichtlich lediglich auf die Reparaturkosten und die Wertminderung einen Betrag von 5.420,94 Euro geleistet.
Der Kläger beantragte in erster Instanz, soweit noch im Berufungsverfahren anhängig:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger gegen Vorlage einer Originalrechnung den Rechnungsbetrag (bis zu einer maximalen Höhe des Listenpreises des Herstellers in Höhe von 41.547,39 Euro) für ein identisch ausgestattetes Fahrzeug VW Golf, welcher über den Betrag von 5.420,94 Euro hinausgeht, Zug um Zug gegen Übereignung des Pkw VW Golf Fahrzeugidentnr. (...) zu ersetzen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Pkw VW Golf, Fahrzeugidentnr. (...) in Verzug befindet.
3. (betrifft Mietwagenkosten und Kosten für die Reparatur einer Anhängerkupplung)
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 940,57 Euro zu bezahlen.
Die Beklagte beantragte Klagabweisung.
Wegen des Vortrags der Parteien wird im Übrigen auf die Feststellungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil verwiesen.
II. Das Landgericht hat, soweit der Streitgegenstand zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt wird, die Klageanträge Ziff. 1 und 2 voll zugesprochen sowie Rechtsanwaltskosten in Höhe von 708,52 Euro. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Feststellungsantrag sei zulässig, da dem Kläger erst dann ein Leistungsanspruch zustehe, wenn er ein fabrikneues Ersatzfahrzeug ang...