Leitsatz (amtlich)
Ein Pferdehalter, der eine 13-jährige Jugendliche damit beauftragt hat, von hinten an zwei jeweils von anderen Jugendlichen geführten Pferden vorbeizugehen und zu überholen, um ihnen die Stalltür aufzumachen, kann sich gegenüber seiner Tierhalterhaftung nicht auf ein Mitverschulden berufen, wenn eines seiner Pferde während des Vorbeilaufens in gebotenem Abstand aus nicht geklärter Ursache plötzlich scheut und ausschlägt und dadurch die vorbeilaufende Jugendliche verletzt.
Normenkette
BGB §§ 254, 833
Verfahrensgang
LG Ellwangen (Urteil vom 17.06.2010; Aktenzeichen 4 O 151/08) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des LG Ellwangen vom 17.6.2010 - Az. 4 O 151/08 - abgeändert:
1. Der Beklagte verurteilt, an die Klägerin über die bezahlten 9.000 EUR hinaus ein Schmerzensgeld i.H.v. weiteren 3.000 EUR zu zahlen nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.10.2007 nebst weiterer 215,63 EUR außergerichtlicher Anwaltskosten.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Pferdeunfall vom 12.9.2007 gegen 19:00 Uhr in E. zu 100 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
II. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 7.700 EUR
Gründe
I. Das LG hat den beklagten Halter des Reitpferds "K." zu einer Schmerzensgeldzahlung von 9.000 EUR zzgl. Zinsen und Rechtsanwaltskosten verurteilt und seine Haftung für zukünftige Schäden zu jeweils 75 % festgestellt, weil das Pferd am 12.9.2007 auf dem Hof H. in E. der damals knapp 13-jährigen Klägerin schwere Gesichtsverletzungen beigebracht hat. Die Klägerin sollte im Auftrag des Beklagten zwei Freundinnen, die die beiden Pferde des Beklagten führten, den Stall öffnen und musste zu diesem Zweck am Pferd "K." von hinten seitlich vorbeigehen, als dieses erschrak und mit der rechten Hinterhand ausschlug. Die Klägerin erlitt u.a. einen Kieferbruch, verlor fünf Zähne und hat bis heute Probleme mit Gesichtsschwellungen. Sie trägt (so weit möglich) eine Zahnprothese und soll ggf. Zahnimplantate erhalten, wenn der Kiefer ausgewachsen ist.
Die Parteien streiten um die Mitverschuldensquote. Das LG geht von einem 25%igen Mitverschulden der Klägerin aus, weil der Unfall zeige, dass die im Umgang mit Pferden gewohnte und daher mit den Gefahren vertraute Klägerin den notwendigen Sicherheitsabstand zu dem Pferd - auch zur Seite hin - nicht eingehalten habe. Weil das Pferd am kurzen Zügel geführt worden sei, könne nicht davon ausgegangen werden, dass sich dieses weit zur Seite gedreht oder einen Satz zur Klägerin hin gemacht habe.
Das Urteil wurde dem Klägervertreter am 24.6.2010 zugestellt und dem Beklagtenvertreter am 25.6.2010. Die Berufung der Klägerin ging am 12.7.2010 beim OLG ein und ihre Berufungsbegründung am 9.8.2010. Die Berufung des Beklagten ging am 22.7.2010 beim OLG ein und seine Berufungsbegründung am 24.9.2010.
Die Klägerin erstrebt eine volle Haftung des Beklagten und weitere 3.000 EUR Schmerzensgeld mit der Begründung, nicht genügend berücksichtigt sei, dass die Beweisaufnahme ergeben habe, dass sich das Pferd "K." mit der ganzen Hinterhand auf die Seite gedreht habe, weil es durch einen Knall erschreckt worden sei. Sie habe - vor allem als nicht einmal 13 Jahre alte Jugendliche - nicht damit rechnen müssen, mehrere Meter seitlich neben dem Pferd von einem Hufschlag getroffen zu werden.
Die Klägerin beantragt, wie erkannt.
Der Beklagte beantragt,
1. die Berufung der Klägerin zurückzuweisen;
2. Auf die Berufung des Beklagten/Anschlussberufungsklägers wird das am 17.6.2010 verkündete Urteil des LG Ellwangen/Jagst Az. 4 O 151/09 abgeändert wie folgt:
a) Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 7.800 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 6.10.2007 und 899,40 EUR außergerichtliche Anwaltskosten zu bezahlen.
b) Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Pferdeunfall vom 12.9.2007 gegen 19:00 Uhr in E. i.H.v. 65 % zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
c) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte begehrt eine Herabsetzung des Schmerzensgelds auf 7.800 EUR und der Haftungsquote auf 65 %. Er meint, nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass sich die Klägerin ohne Not dem Pferd von hinten genähert habe, obwohl genügend Platz vorhanden gewesen sei, und dass das Pferd sich nur wenig gedreht habe. Dieser aktiv begangene Fehler der Klägerin müsse gegenüber der Gefährdungshaftung des Beklagten stärker gewichtet werden.
Wegen der Einz...