Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzansprüche von Betroffenen des sog. Lkw-Kartells: Preisschirm- und Nachlaufeffekte des Kartells
Leitsatz (amtlich)
1. Den Käufern von Lastkraftwagen, die vom sog. Lkw-Kartell betroffen sind, deretwegen die EU-Kommission im Jahre 2016 im kartellrechtlichen Bußgeldverfahren gegen verschiedene Lastkraftwagenhersteller wegen unzulässiger Preisabsprachen vorgegangen ist (vergleiche EU-Kommission, Beschluss vom 19. Juli 2016 - AT.39824 - Lkw), können Schadensersatzansprüche gegen den kartellbeteiligen Lastkraftwagenhersteller zustehen. (Rn. 113)
2. Ein sog. "Preisschirmeffekt" des Kartells kommt insofern auch für Produkte in Betracht, die nicht Gegenstand des Kartellverstoßes (hier: "mittelschwere Lkw" zwischen 6 und 16 Tonnen, sowie "schwere Lkw" über 16 Tonnen) waren, zu denen aber ein sachlicher Zusammenhang besteht (hier: bejaht für entsprechende Einsatz- und Löschfahrzeuge für eine Feuerwehr ausgenommen Kastenwagen bzw. Transporter unter 6 Tonnen). (Rn. 139) (Rn. 142)
3. Auch können Kartellabsprachen die Preissetzung nach Beendigung des Kartells beeinflussen. Solche "Nachlaufeffekte" können sich entweder aus einer einfachen Fortwirkung des Preisniveaus oder aus den langfristigen Folgen des Kartells für die Struktur eines Marktes (etwa wegen einer dauerhaften regionalen Marktaufteilung durch die Stilllegung von Produktionsstätten) und anderer Merkmale (wie etwa die Entstehung eines stillschweigenden Parallelverhaltens bei langfristigen Kartellen) ergeben. Solche "Nachlaufeffekte sind grundsätzlich ersatzfähig". Im Allgemeinen kommt aber eine solche "Nachwirkung" nur für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr in Betracht. (Rn. 154) (Rn. 156)
Normenkette
AEUV Art. 101; GWB §§ 33-35
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 14.02.2020; Aktenzeichen 30 O 16/18) |
Tenor
1. Das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 14.02.2020, Az. 30 O 16/18, wird wie folgt abgeändert:
1.1 Auf die Berufung der Beklagten Ziff. 1 und 3 wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 14.02.2020, Az. 30 O 16/18, aufgehoben, soweit die Klage in Bezug auf die Beschaffungsvorgänge Nr. 6 und 7 einschließlich der insoweit jeweils geltend gemachten Zinsen, außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Kosten für die Gutachtenerstellung dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden ist.
1.2 Auf die Berufung der Beklagten Ziff. 2 wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 14.02.2020, Az. 30 O 16/18, aufgehoben, soweit die Klage in Bezug auf den Beschaffungsvorgang Nr. 5 einschließlich der insoweit geltend gemachten Zinsen, außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Kosten für die Gutachtenerstellung dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden ist.
1.3 Auf die Anschlussberufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 14.02.2020, Az. 30 O 16/18, aufgehoben, soweit das Landgericht die Klage gegen die Beklagten Ziff. 1 und 3 in Bezug auf den Beschaffungsvorgang Nr. 5 abgewiesen hat.
1.4 Insoweit wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht zurückverwiesen.
1.5 Die Anschlussberufung der Klägerin gegen die Abweisung der Klage gegen alle Beklagten in Bezug auf die Erwerbsvorgänge Nr. 1 bis 4 und gegen die Beklagte Ziff. 2 in Bezug auf die Erwerbsvorgänge Nr. 6 und 7 wird zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. 1. Sachverhalt in erster Instanz
Die Klägerin ist ... Die Beklagten waren Beteiligte am LKW-Kartell wie folgt (Beschluss der Kommission vom 19.07.2016, AT.39824 - Lkw, Rn. 95-97):
- Die Beklagte Ziff. 1 vom Beginn des Kartells am 17.01.1997 bis zum 18.01.2011.
- Die Beklagte Ziff. 2 vom 26.06.2001 bis zum 18.01.2011. Die Muttergesellschaft der Beklagten Ziff. 2, die ..., war direkt Beteiligte im Zeitraum vom 17.01.1997 bis 14.11.2008.
- Die Beklagte Ziff. 3 in Gestalt der ... als Rechtsvorgängerin der Beklagten Ziff. 3 vom 17.01.1997 bis zum 20.09.2010.
Mit ihrer Klage macht die Klägerin gegen die Beklagten als Beteiligte des LKW-Kartells Schadensersatzansprüche aus den folgenden Beschaffungsvorgängen geltend:
Lfd. Nr. LGU |
Fahrzeug |
Verkäufer |
Datum des Angebots des Auftrags der Rechnung |
Anlagen (Bd. IX) |
1 |
Mercedes Benz Vario Kastenwagen 7,49 t (LiBi K15, Bd. IX) |
Beklagte Ziff. 1 |
26.01.1999 - 30.04.1999 |
K15/16 |
2 |
Mercedes Benz ATEGO Feuerwehrfahrgestell |
Beklagte Ziff. 1 |
13.05.2013 - 30.07.2013 |
K17 |
3 |
... Löschgruppenfahrzeug |
... GmbH (heute: ... GmbH) |
10.02.1998 14.07.1998 03.12.1998 |
K18 |
4 |
... Löschgruppenfahrzeug |
... GmbH (heute: ... GmbH) |
12.04.1999 24.06.1999 27.04.2000 |
K19 |
5 |
... Eurocargo |
... GmbH |
- 17.05.2006 31.07.2006 |
K20 |
6 |
... LKW |
Beklagte Ziff. 3 |
25.01.2001 16.02.2001 25.06.2001 |
K21 |
7 |
... LKW Feuerwehrfahrzeug |
Beklagte Ziff. 3 |
29.05.2001 14.08.2001 22.10.2001 |
K22 |
Die Kaufverträge über LKW der Marke ... schloss die Klägerin mit Tochtergesellschaften der Beklagten Ziff. 2 ab (Handelsregisterauszüge, Anlage K12, Bd. I, nach Bl. 63). Bei dem Erwerbsvorgang Nr. 5 hatte die ... GmbH den Lkw ihrerseits zuvor von de...