Leitsatz (amtlich)
Stützt ein Kläger seine Behauptung, ein von ihm erworbenes Fahrzeug mit Dieselmotor erkenne den Prüfstand und stelle dann die Steuerung des Abgasreinigungssystems inklusive SCR-System und Kühlmittelsolltemperaturregelung so um, dass die Grenzwerte eingehalten würden, ausschließlich darauf, dass das Fahrzeug die Bedingungen des "Neuen Europäischen Fahrzyklus" (NEFZ) erkenne, so ist der Vortrag unschlüssig und unbeachtlich, wenn das Fahrzeug nach dem im Jahr 2017 mit Art. 3 VO EU 2017/1151 vom 01 Juni 2017 eingeführten WLTP (Worldwide Harmonized Light Duty Vehicles Test Procedure bzw. weltweit harmonisiertes Testverfahren für leichte Nutzfahrzeuge) und dem dafür maßgeblichen WLTC (Worldwide Harmonized Light Duty Test Cycle bzw. weltweit harmonisierter Prüfzyklus für leichte Nutzfahrzeuge) mit Ergänzung durch Emissionsmessungen im realen Fahrbetrieb (RDE, Real Driving Emissions) geprüft und zugelassen wurde, da die Prüfung nach diesem neueren Verfahren grundlegend anders ist.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2, § 826; Verordnung (EU) 2016/646 Fassung: 2016-04-20; Verordnung (EU) 2017/1151 Fassung: 2017-06-01; Verordnung (EU) 2017/1154 Fassung: 2017-06-07
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 22.06.2022; Aktenzeichen 12 O 83/22) |
Tenor
1. Das Versäumnisurteil des OLG Stuttgart vom 08.02.2023, Az. 23 U 630/22, wird aufrechterhalten.
2. Der Kläger hat auch die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 22.06.2022, Az. 12 O 83/22, ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 36.494,55 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin mit der Behauptung auf Schadensersatz in Anspruch, diese habe das Abgasreinigungssystem eines von ihr hergestellten und vom Kläger erworbenen Kraftfahrzeugs mit Dieselmotor mit unzulässigen Abschalteinrichtungen des Abgasreinigungssystems ausgestattet.
Der Kläger erwarb am 05.09.2019 bei der G. GmbH einen Mercedes-Benz GLC 220 d 4Matic. Das Fahrzeug wies einen Tachostand von 9.487 km auf und der Kaufpreis belief sich auf 40.900,00 EUR.
Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe OM 651, Schadstoffklasse Euro 6 (AD) ausgestattet. Das Fahrzeug ist von keinem verpflichtenden Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (im Folgenden: KBA) betroffen. Im Typgenehmigungsverfahren für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp galt nicht der Neue Europäische Fahrzyklus (im Folgenden: NEFZ), sondern das neuere Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Procedure-Verfahren (WLTP-Verfahren). Es erfolgten zudem im Rahmen der Typgenehmigung sogenannte Real Driving Emissions (RDE)-Tests. Im Fahrzeug wird ein SCR-System zur Abgasnachbehandlung verwendet.
Der Kläger hat in erster Instanz behauptet, sein Fahrzeug enthalte mindestens eine illegale Abschalteinrichtung. Das Fahrzeug erkenne, ob es den Bedingungen des Prüfstands ausgesetzt sei oder sich im normalen Fahrbetrieb befinde, und steuere die Abgasnachbehandlung entsprechend. Die in seinem Fahrzeug verbauten Abschalteinrichtungen führten dazu, dass die Emissionsgrenzwerte auf dem für die Typgenehmigung erforderlichen Prüfstand des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) eingehalten würden. Im realen Straßenverkehr und unter normalen Betriebsbedingungen überschreite das Fahrzeug die gesetzlichen Grenzwerte. Die Funktionsweise des in seinem Fahrzeug verbauten Motors werde durch eine Software beeinflusst, die auf Daten aus der Messung der Außentemperatur zurückgreife. Bei niedrigeren oder höheren Außentemperaturen wie in der Prüfkammer, wo stets gleiche Temperaturen zwischen 20 und 30 °C herrschten, würden die Stickoxidemissionen zurückgefahren bzw. komplett ausgesetzt (sog. Thermofenster). Der gesetzliche Grenzwert für Stickoxide werde bei dem streitgegenständlichen Motor im NEFZ nur eingehalten, wenn die so genannte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung aktiv sei. Diese halte den Kühlmittelkreislauf künstlich kälter, verzögere die Aufwärmung des Motoröls und sorge so dafür, dass der Grenzwert für Stickoxide eingehalten werden. Unter normalen Betriebsbedingungen sei die Funktion dagegen deaktiviert mit der Folge, dass die vorgegebenen Grenzwerte überschritten würden. Wenn in seinem Fahrzeug ein so genanntes SCR-System verbaut sei, werde dem Abgas über einen Katalysator eine Harnstofflösung ("Ad-Blue") beigemischt, welche Stickoxide in unbedenkliche Substanzen abbaue. Während des Durchfahrens des NEFZ erkenne das Steuergerät, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand stehe und mische eine größere Menge an Harnstoff bei als im realen ...