Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 29.11.2021; Aktenzeichen 31 O 59/20 KfH) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 31. Kammer für Handelssachen - Commercial Court - des Landgerichts Stuttgart vom 29.11.2021 (31 O 59/20 KfH) teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Auf die Anfechtung des Klägers wird der in der Hauptversammlung der Beklagten am 28.07.2020 gefasste Beschluss zu dem Tagesordnungspunkt "4. Entlastung des Aufsichtsrats" für nichtig erklärt.
2. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen, soweit sie sich gegen die Beschlussfassung der Hauptversammlung vom 28.07.2020 zu dem Tagesordnungspunkt 2 über die Verwendung des Bilanzgewinns für das Geschäftsjahr 2019 richtet.
3. Im Übrigen wird die Klage als unbegründet abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen der Kläger 7/8 und die Beklagte 1/8. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Das vorliegende Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger wie auch die Beklagte dürfen die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung i.H. von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H. von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 50.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Der Kläger hält etwa 9,5 % der Aktien der beklagten Aktiengesellschaft, deren Grundkapital sich derzeit auf 41,7 Mio. EUR beläuft. Er ist der Sohn von M. B., bei welchem es sich um den Gründer der B. E. AG handelt, unter welcher die Beklagte einst firmiert hat. Bei der Beklagten handelt es sich um eine nicht börsennotierte Industrieholding. Hauptaktionär ist G. L., welcher über 50 % der Aktien hält.
Mit seiner Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage wendet sich der Kläger gegen verschiedene Beschlüsse der virtuellen Hauptversammlung der Beklagten vom 28.07.2020. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils des Landgerichts vom 29.11.2021 (31 O 59/20 KfH; GA 394 ff.) Bezug genommen.
Mit diesem Urteil hat das Landgericht auf die Anfechtung des Klägers die in der Hauptversammlung der Beklagten am 28.07.2020 gefassten Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten "4. Entlastung des Aufsichtsrats" und "11. Beschlussfassung über die Aberkennung des Titels als Ehren-Aufsichtsrat" für nichtig erklärt (Ziff. 1 und 2 des Tenors) sowie hinsichtlich des letztgenannten Tagesordnungspunktes festgestellt, dass der Beschluss dergestalt gefasst ist, dass insoweit folgender, im Bundesanzeiger vom 13.07.2020 veröffentlichter Beschlussvorschlag des Klägers angenommen ist: "Herrn G. L. wird der Titel als Ehren-Aufsichtsrat der Gesellschaft aberkannt" (Ziff. 2 des Tenors). Des Weiteren hat das Landgericht die Klage als unzulässig abgewiesen, soweit sie sich gegen die Beschlussfassung der Hauptversammlung vom 28.07.2020 zu Tagesordnungspunkt 2 über die Verwendung des Bilanzgewinns für das Geschäftsjahr 2019 richtet (Ziff. 3 des Tenors), und die Klage im Übrigen als unbegründet abgewiesen (Ziff. 4 des Tenors).
Zur Begründung seines Urteils hat das Landgericht zu Ziff. 1 und 2 des Tenors im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Die Anfechtungsklage gegen den zu Tagesordnungspunkt 4 gefassten Beschluss über die Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2019 sei zulässig und begründet. So habe die Aktionärsmehrheit gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht verstoßen, indem sie den Aufsichtsratsmitgliedern trotz erkennbarer schwerwiegender und eindeutiger Pflichtverletzung im Entlastungsjahr 2019 die Entlastung erteilt habe. Denn die Praxis der regelmäßigen Teilnahme des Mehrheitsaktionärs an Aufsichtsratssitzungen habe gegen § 109 Abs. 1 AktG verstoßen, was in der Hauptversammlung auch erkennbar gewesen sei. So habe der Mehrheitsaktionär bis zur Sitzung am 21.03.2019 regelmäßig als "ständiger Berater" an Aufsichtsratssitzungen teilgenommen, ohne dass es für jeden einzelnen Tagesordnungspunkt der jeweiligen Sitzung ein die Teilnahme u.U. legitimierendes, sachlich begrenztes "Beratungs- oder Sachverständigenmandat" o.ä. gegeben hätte. Dies stelle einen für die Hauptversammlung offensichtlichen, eindeutigen und schwerwiegenden Verstoß gegen § 109 Abs. 1, Abs. 2 AktG dar, nachdem den Aktionären in der hier streitgegenständlichen Hauptversammlung vom 28.07.2020 die pflichtwidrige Praxis der Zulassung des Mehrheitsaktionärs zur regelmäßigen Sitzungsteilnahme insbesondere durch eine Aktionärsfrage deutlich vor Augen geführt worden sei. Ein "Ehrenmitglied" des Aufsichtsrats dürfe nicht als solches an den Sitzungen und Beratungen des Aufsichtsrats teilnehmen und habe auch keinerlei Auskunfts- oder Einsichtrechte gem. §§ 90, 111 Abs. 2 AktG. Eine Sitzungstei...