Leitsatz (amtlich)
1. Die Bescheinigung einer approbierten Medizinalperson ist ein Gesundheitszeugnis i.S.d. §§ 277 ff. StGB, wenn sie Aussagen über den gegenwärtigen Gesundheitszustand eines Menschen, über frühere Krankheiten sowie ihre Spuren und Folgen oder über Gesundheitsaussichten trifft, wobei auch Angaben tatsächlicher Natur, so etwa über erfolgte Behandlungen bzw. deren Ergebnis erfasst sind. Die Angabe einer konkreten Diagnose ist nicht erforderlich.
2. Ein Gesundheitszeugnis ist falsch i.S.v. § 279 StGB, wenn es objektiv unzutreffende Angaben über tatsächliche Umstände macht, die wesentliche Grundlage einer medizinischen Bewertung sind, so etwa über tatsächlich nicht erfolgte ärztliche oder therapeutische Behandlungen. Auf die Richtigkeit einer daraus resultierenden Diagnose kommt es in diesen Fällen nicht mehr an.
3. Die Vorlage einer gefälschten Therapiebescheinigung bei einer privatrechtlich organisierten Begutachtungsstelle für Kraftfahreignung erfüllt den Tatbestand des § 279 StGB nicht, da diese Norm das "Gebrauch machen" gegenüber einer Behörde voraussetzt.
Verfahrensgang
AG Tuttlingen (Entscheidung vom 05.06.2013; Aktenzeichen 6 Cs 16 Js 11288/12) |
Tenor
1.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Rottweil wird das Urteil des Amtsgerichts Tuttlingen vom 5. Juni 2013
a u f g e h o b e n.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tuttlingen
z u r ü c k v e r w i e s e n.
Gründe
I.
Dem Angeklagten wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, zum Zwecke der Wiedererlangung einer zuvor entzogenen Fahrerlaubnis im verwaltungsbehördlichen Verfahren ein unrichtiges Gesundheitszeugnis gebraucht zu haben, um so die Behörde über seinen Gesundheitszustand zu täuschen.
Dem am 18. April 2013 erlassenen Strafbefehl liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Im Zeitraum Anfang 2008 bis 23.05.2012 boten die getrennt verfolgten E. und S. K. einer Vielzahl von Kunden kostenpflichtige MPU-Vorbereitungskurse zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis an, wobei sie eine hundertprozentige Bestehensgarantie gewährleisteten. Dabei gingen sie im bewussten und gewollten Zusammenwirken wie folgt vor:
Sie gaben sich wahrheitswidrig als "Diplompsychotherapeuten" aus und bescheinigten den jeweiligen Probanden tatsächlich nicht stattgefundene psychotherapeutische Einzel- und/oder Gruppensitzungen, in denen die Probanden die bestehenden Defizite, die zu ihrem Fehlverhalten im Straßenverkehr und zu dem Alkohol- bzw. Drogenmissbrauch führten, aufgearbeitet hätten.
In den Fällen, in denen Blut- und Urinscreenings für das Bestehen der medizinisch-psychologischen Untersuchung erforderlich waren, wurden diese zusätzlich durch die getrennt verfolgten K. beschafft. Dabei nahmen sie Originalbefunde, die überwiegend von Dr. F. (BML-Labor S.) oder Mitarbeitern aus dem Labor "T.", . L., erstellt waren, scannten diese zuhause in S. ein und trugen nachträglich weitere Screenings ein, die nicht stattgefunden haben, oder veränderten die Daten der tatsächlich abgelegten Screenings zugunsten der Probanden. Anschließend wurden die Kunden an die MPU-Stellen P. GmbH in S. und TÜV-S. GmbH in B., O. und F. vermittelt. Dort wurden die falschen Befundberichte als Originale vorgelegt und die Gutachter getäuscht, weil sie glaubten, dass die MPU-Kunden tatsächlich - wie im Screening bescheinigt - abstinent lebten.
Der Angeklagte war ebenfalls ein Kunde der Eheleute K. und legte am 12.03.2012 bei der MPU-Stelle TÜV in B. folgende Bescheinigung in Kenntnis deren Unrichtigkeit vor:
Therapiebescheinigung vom 01.09.2011, ausgestellt von S. K. unter der Bezeichnung Dipl. Psychotherapeut, über eine psychotherapeutische Behandlung im Zeitraum vom 16.12.2010 bis 25.07.2011.
Diese Bescheinigung wurde von dem den Angeklagten untersuchenden Psychologen nicht als Fälschung erkannt und in das MPU-Gutachten aufgenommen. Das MPU-Gutachten wurde im April 2012 beim Landratsamt T. eingereicht, was dazu führte, dass dem Angeklagten am 10.04.2012 wieder eine Fahrerlaubnis erteilt wurde.
Nachdem der Angeklagte gegen diesen Strafbefehl rechtzeitig Einspruch eingelegt hatte, sprach das Amtsgericht Tuttlingen den Angeklagten durch Urteil vom 5. Juni 2013 aus rechtlichen Gründen frei, da es sich bei der fraglichen Bescheinigung nicht um ein Gesundheitszeugnis i. S. d. § 279 StGB handle.
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Rottweil am 6. Juni 2013 und mithin rechtzeitig zu Ungunsten des Angeklagten "Rechtsmittel" eingelegt, dieses form- und fristgerecht als Revision bezeichnet und die Verletzung materiellen Rechts gerügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision der Staatsanwaltschaft beigetreten. Sie beantragt,
das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tuttlingen zurückzuverweisen.
Die Verteidigung beantragt,
die Revision als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft S...