Entscheidungsstichwort (Thema)

Impfunfähigkeitsbescheinigung. Gesundheitszeugnis. ärztliches Attest. Unrichtigkeit des Gesundheitszeugnisses. ärztliche Untersuchung. Gesundheitszustand. Strafbarkeit des Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses im Falle einer ärztlich ausgestellten Impfunfähigkeitsbescheinigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine individualisierte, ärztlich ausgestellte (vorläufige) Impfunfähigkeitsbescheinigung ist ein Gesundheitszeugnis im Sinne des § 278 StGB.

2. Unrichtig im Sinne des § 279 StGB ist das Gesundheitszeugnis bereits dann, wenn die miterklärten Grundlagen der Beurteilung in einem wesentlichen Punkt nicht der Wahrheit entsprechen. Dies ist in der Regel dann gegeben, wenn die für die Beurteilung des Gesundheitszustands erforderliche ärztliche Untersuchung nicht durchgeführt wurde.

3. Für eine Strafbarkeit nach § 279 StGB ist es hingegen nicht erforderlich, dass das Gesundheitszeugnis eine unwahre Aussage über den Gesundheitszustand als solchen enthält (abweichend: BayOLG, Urteil vom 18.07.2022, Az. 2 StR 179/22).

 

Normenkette

StGB §§ 279, 278

 

Verfahrensgang

AG Stolzenau (Entscheidung vom 23.10.2023; Aktenzeichen 4 Cs 76/23)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Stolzenau zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Verden warf der Angeklagten mit Strafbefehlsantrag vom 05.07.2023 vor, am 03.03.2023 in S. ein unrichtiges Gesundheitszeugnis im Sinne des § 279 StGB gebraucht zu haben, indem sie beim Landkreis Nienburg in dem gegen sie geführten Ordnungswidrigkeitenverfahren ein "Ärztliches Gutachten" über eine vermeintliche vorläufige Impfunfähigkeit ihrer Tochter vorgelegt habe, das - wie die Angeklagte gewusst habe - inhaltlich unrichtig sei, weil der Bescheinigung keinerlei ärztliche Untersuchung vorangegangen sei.

Das Amtsgericht Stolzenau hat den Strafbefehl unter dem 12.07.2023 zunächst antragsgemäß erlassen und gegen die Angeklagte eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50 € verhängt. Hiergegen hat die Angeklagte unter dem 18.07.2023 form- und fristgerecht Einspruch eingelegt.

In der daraufhin anberaumten Hauptverhandlung am 23.10.2023 hat das Amtsgericht die Angeklagte mit dem angefochtenen Urteil vom Tatvorwurf des Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses aus rechtlichen Gründen freigesprochen.

Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft Verden, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist. Die Revision erhebt die allgemeine Sachrüge und macht geltend, dass das Amtsgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass es sich bei dem von der Angeklagten beim Gesundheitsamt des Landkreises Nienburg eingereichten "Ärztlichen Gutachten" des Arztes Prof. Dr. S. nicht um ein unrichtiges Gesundheitszeugnis im Sinne des § 279 StGB handele.

Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache - vorläufig - Erfolg.

II.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts führte das Gesundheitsamt des Landkreises Nienburg Anfang des Jahres 2023 ein Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen eines Verstoßes gegen die Masernimpfpflicht nach § 20 Abs. 8 IfSG gegen die Angeklagte, da diese sich weigerte, ihre am 23.08.2008 geborene Tochter E. G. gegen Masern impfen zu lassen. Die Angeklagte suchte daher, unter anderem im Internet, nach Möglichkeiten, der Impfpflicht zu entgehen, und stieß auf die Internetseite des in Ö. praktizierenden Arztes Prof. Dr. med. A. S. aus S. Auf dessen Internetseite konnte sich jeder gegen eine Gebühr von 20 € einen Text mit der Überschrift "Ärztliches Gutachten zur Impffähigkeit" herunterladen. In diesen Text trug die Angeklagte selbst die Daten ihrer Tochter ein und druckte diesen aus.

Dieses Formular versendete die Angeklagte anschließend mit einem Anschreiben an den Landkreis Nienburg. Dabei war der Angeklagten bewusst, dass es weder einen persönlichen noch einen telefonischen Kontakt zwischen ihr bzw. ihrer Tochter und dem Arzt und auch nie eine körperliche Untersuchung vor der Erstellung des "Gutachtens" gegeben hatte. Gleichwohl hielt die Angeklagte ihr Verhalten zumindest für nicht strafbewehrt und erhoffte sich, auf diesem Wege das Bußgeldverfahren zu einem für sie positiven Abschluss zu bringen.

Das von der Angeklagten versendete Gutachten hatte ausweislich des Urteils auszugsweise folgenden Wortlaut:

"Ärztliches Gutachten zur Impffähigkeit

mit einem monovalenten oder polyvalenten Masernvirus enthaltenden Impfstoff für nachfolgende Person:

Name, Vorname

G., E.

Anschrift Straße, HNr., PLZ, Ort

...

Datum der Bescheinigung

03.03.2023

Aufgrund meiner ärztlichen Einschätzung und Bewertung komme ich nach freiem Ermessen zu folgender gutachterlicher Einschätzung:

Bis zum Ausschluss einer möglichen, schwerwiegenden Allergie gegen einen der Inhaltsstoffe der in der EU zugelassenen monovalenten oder polyvalenten Masernvirus, Mumpsvirus, Rötelnvirus und Varizella-Virus enthaltenen Impfstoffen durch e...

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