Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 21.12.2021; Aktenzeichen 10 O 241/21)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21.12.2021, Az. 10 O 241/21, wird zurückgewiesen.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21.12.2021, Az. 10 O 241/21, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

3. ie Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern diese nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu EUR 25.000,00 festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klagepartei macht als Erwerberin eines Pkw XY V. gegen die Beklagte als Herstellerin des Kraftfahrzeuges Ansprüche geltend, gestützt auf die Behauptung, in dem Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen enthalten.

1. Die Klagepartei kaufte ausweislich der erstinstanzlich getroffenen Feststellungen am 15.12.2017 (nach Angaben der Beklagten am 12.12.2017) bei der Beklagten das streitgegenständliche Fahrzeug als Neuwagen für EUR 39.567,50. Der Pkw wurde von der Beklagten hergestellt, wobei sie einen (Diesel-)Motor des Typs OM 651 (Euro 6) verwendete. Das streitgegenständliche Kraftfahrzeug verfügt über ein SCR-System; von einem Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes (kurz: KBA) wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen ist es nicht betroffen. In dem Fahrzeug kommt eine Abgasrückführung (kurz: AGR) zur Anwendung, bei der das im Rahmen der Verbrennung entstandene Abgas in den Brennraum zurückgeleitet wird und somit erneut an der Verbrennung teilnimmt, was sich mindernd auf die Stickoxidemissionen (NOx-Emissionen) auswirkt. Die AGR (vulgo: Thermofenster) arbeitet bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug u.a. temperaturgesteuert, wird also beim Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert. Ein sogenanntes geregeltes Kühlmittelthermostat, auch als Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (kurz: KSR) bezeichnet, bei der die - durch den Einsatz einer Kühlung - verzögerte Erwärmung des Motoröls zu niedrigeren NOx-Emissionen führt, ist in dem Kraftwagen ebenfalls verbaut. Am 15.07.2022 wies der Pkw einen (unstreitigen) Kilometerstand von 168.495 auf.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie erstinstanzlicher Antragstellungen der Parteien wird auf die Ausführungen hierzu im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

2. Das Landgericht hat der Klage durch das angefochtene Urteil teilweise stattgegeben und die Beklagte (u.a.) zur Zahlung von (Schadensersatz in Höhe von) EUR 14.486,93 verurteilt; ferner wurde festgestellt, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet. Das Landgericht hat angenommen, die Beklagte habe die Klägerin dadurch getäuscht, dass sie einen Motor mit unzulässigen Abschalteinrichtungen entwickelt und sodann die Fahrzeuge mit einer erschlichenen Typgenehmigung zwecks Weiterveräußerung an Endkunden in den Verkehr gebracht hat. Auf die von der Beklagten vorgebrachte Tatbestandswirkung der Typgenehmigung komme es nicht an. Die im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Kühlmittelsolltemperaturregelung und das Thermofenster seien als "(...) prüfstandsbezogene Abschalteinrichtungen im Sinne der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des BGH (...)" zu beurteilen. Das Verhalten der Beklagten habe (auch) gegen die guten Sitten verstoßen; das Vorliegen prüfstandsbezogener Abschalteinrichtungen indiziere dies. Das Vorgehen der Beklagten sei "als besonders verwerflich anzusehen". Zudem liege die Annahme, der Vorstand der Beklagten oder andere maßgebliche Personen, deren Wissen und Verhalten sie sich zurechnen lassen müsse, seien mit Blick auf die Tragweite des Erwerbs und des Einbaus der Motorsteuerungssoftware in den entsprechenden Entscheidungsprozess nicht eingebunden gewesen, fern. Schließlich sei auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung drohe und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar sei, ob dieses Problem behoben werden könne.

3. a) Berufung der Beklagten

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Sie ist der Auffassung, das erstinstanzliche Urteil stehe "im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung". Moniert werden insbesondere angenommene Fehleinschätzungen des befassten Spruchkörpers betreffend den Prüfungsmaßstab zur Beurteilung von sittenwidrigem Verhalten/Handeln bei einer (unterstellten) Abschalteinrichtung, die unter entsprechenden Bedingungen auf dem Prüfstand im Grundsatz in gleicher Weise arbeitet wie im Fahrbetrieb auf der Straße und bei der die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden ...

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