Leitsatz (amtlich)

Zu den Folgen des Fehlens einer Anspruchsbegründung bei Säumigkeit des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung auf Antrag des Antragsgegners.

a) Wurde fehlerhaft durch streitgemäßes Urteil anstatt durch echtes Versäumnisurteil erkannt, ist nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung gegen das Urteil die Berufung zulässig.

b) Zur Vermeidung der Perpetuierung des Formfehlers in diesem Fall.

 

Normenkette

ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, §§ 330, 697 Abs. 3, § 511 Abs. 1, § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 08.08.2012; Aktenzeichen 21 O 151/12)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 21. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 8.8.2012 - 21 O 151/12 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das LG zurückverwiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

A. Am 16.4.2012 hat die Klägerin gegen die Beklagte den Erlass eines Mahnbescheids beantragt, der am 17.4.2012 erlassen wurde. Die in diesem mit "Handwerkerleistung gem. Nummer der Rechnung - o.Ä. - 2120002, 2120003, 2120004, 2120005 vom 7.2.2012" bezeichnete Hauptforderung beläuft sich auf 81.641,81 EUR.

Gegen den Mahnbescheid hat die Beklagte am 20.4.2012 Widerspruch eingelegt. Durch Verfügung vom 20.4.2012 wurde das Verfahren an das LG Stuttgart abgegeben.

Der Klägerin wurde durch die Geschäftsstelle entsprechend § 697 Abs. 1 S. 1 ZPO aufgegeben, den Anspruch zu begründen. Nachdem sie dieser Aufforderung nicht nachkam, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 3.7.2012 die Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung beantragt. Mit der Terminsbestimmung wurde der Klägerin durch die Einzelrichterin eine Frist zur Begründung des Anspruchs entsprechend § 697 Abs. 3 S. 2 ZPO gesetzt. Eine Anspruchsbegründung ist nicht eingegangen.

Im Termin war für die Klägerin niemand erschienen.

Der Beklagtenvertreter hat Klagabweisung beantragt.

Diesem Antrag ist das LG mit der angefochtenen Entscheidung, auf deren tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, gefolgt.

Das LG hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Zulässigkeit könne offen bleiben. Die Klage sei jedenfalls unbegründet. Die Klägerin habe ihren Anspruch nicht begründet, so dass der Antrag unschlüssig sei.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.

Sie ist u.a. der Auffassung, die Zulässigkeit der Klage hätte ebenso wenig offen bleiben, wie eine Klagabweisung in der Sache erfolgen dürfen, weshalb eine Zurückverweisung an das LG stattzufinden habe.

Die Klägerin habe den von der Einzelrichterin bestimmten Termin zur mündlichen Verhandlung mit einem Verkündungstermin in einem anderen zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit verwechselt.

Die Klägerin begründet den Anspruch (GA 32 - 41 der Akten nebst Anlagen).

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Sache zur erneuten Verhandlung einer Entscheidung an das Gericht I. Instanz zurückzuweisen, hilfsweise unter Abänderung des angefochtenen Urteils, die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abzuweisen, weiter hilfsweise unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 81.641,81 EUR nebst Zinsen i.H.v. 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8.2.2012 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung wird abgewiesen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Der Antrag, über den in I. Instanz zu befinden gewesen sei, sei hinreichend bestimmt i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, aber wegen des in dem Widerspruch gegen den Mahnbescheid liegenden Bestreitens unschlüssig. Eine Zurückverweisung komme nicht in Betracht. Die Säumnis im Termin sei schuldhaft gewesen, die Anspruchsbegründung verspätet und damit zurückzuweisen.

B. Die zulässige Berufung der Klägerin führt, entsprechend dem Antrag der Klägerin (§ 538 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 ZPO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das LG. Die I. Instanz hat verfahrensfehlerhaft ein streitgemäßes Urteil in der Sache erlassen und nicht durch (echtes) Versäumnisurteil erkannt.

I. Die Berufung ist zulässig.

1. Das LG hat in der Sache entschieden, weil es die Zulässigkeit der Klage verfahrensfehlerhaft dahinstehen lässt (vgl. BGH, Urt. v. 16.1.2008 - XII ZR 216/05, BGHR ZPO (21.10.2005), § 322 Abs. 1; BGH, Urt. v. 25.1.2012 - XII ZR 139/09, NJW 2012, 1209).

a) Allerdings hätte das LG, weil es die Zulässigkeit der Klage dahinstehen lässt und das Fehlen der Anspruchsbegründung nach § 697 Abs. 1 ZPO der Schlüssigkeit des Klageanspruchs zuordnet, nach § 330 ZPO durch Versäumnisurteil entscheiden müssen, weil die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen war (Hüsstege in Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 697 Rz. 8), die Stellung eines entsprechenden Antrags stillschweigend erfolgte (BGHZ 37, 79, 83) und die Säumnis der Klägerin je...

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