Entscheidungsstichwort (Thema)
Personenschaden durch Kfz-Unfall: Haushaltsführungsschaden durch Wegfall der Fähigkeit des Geschädigten zur Pflege der pflegebedürftigen Ehefrau
Verfahrensgang
LG Tübingen (Urteil vom 27.07.2012; Aktenzeichen 7 O 14/12) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 7. Zivilkammer des LG Tübingen vom 27.7.2012 - 7 O 14/12 - nebst dem diesem zugrunde liegenden Verfahren
a u f g e h o b e n.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Berufung der Beklagten führt antragsgemäß (§ 538 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 ZPO) zur Aufhebung des Urteils des LG nebst dem diesem zugrunde liegenden Verfahren und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das LG.
1. Zutreffend geht das LG allerdings davon aus, dass auf Grund seiner Feststellungen die Beklagte dem Kläger aus §§ 115 Abs. 1 Satz 1Nr. 1 VVG i.V.m. §§ 843 Abs. 1 1. Alt BGB, 11 Satz 1 1. Alt StVG zum Ersatz der über die vor dem Unfall durchgeführte Tagespflege hinaus für seine Ehefrau angefallenen Pflegekosten im Pflegeheim verpflichtet ist.
a) Nach §§ 843 Abs. 1 BGB, 11 Satz 1 StVG hat der Schädiger dem Geschädigten unter den dort genannten Voraussetzungen, hier der Verletzung des Körpers, Schadensersatz zu leisten. Dabei liegt in dem Verlust der Fähigkeit weiterhin Haushaltsarbeiten zu verrichten, ein ersatzfähiger Schaden. Er stellt sich je nachdem, ob die Hausarbeit als Beitrag zum Familienunterhalt oder ob sie den eigenen Bedürfnissen des Verletzten diente, entweder als Erwerbsschaden i.S.d. §§ 843 Abs. 1 Alt. 1 BGB, 11 Satz 1 Alt. 1 StVG oder als Vermehrung der Bedürfnisse i.S.d. §§ 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB, 11 Satz 1 Alt. 1 StVG dar. In dem einen wie dem anderen Falle ist der Schaden messbar an der Entlohnung, die für die verletzungsbedingt in eigener Person nicht mehr ausführbaren Hausarbeiten an eine Hilfskraft gezahlt wird (vgl. BGH, Urt. v. 6.6.1989 - VI ZR 66/88, BGHR BGB § 843 Abs. 1 Hausarbeiten 1). Das gilt auch für Pflegekosten, die deshalb angefallen sind, weil der Ehegatte durch den Unfall die Fähigkeit zur Erbringung von Pflegleistungen verloren hat und der pflegebedürftige Ehegatte ins Pflegeheim muss.
b) Nach den Feststellungen der ersten Instanz hat der Kläger seine vor dem Unfall erheblich pflegebedürftige Ehefrau (Pflegestufe III), bis auf wenige Tage, die sie in der Tagespflege war, in der Wohnung versorgt und seinen Unterhaltsbeitrag durch Pflegleistungen erbracht (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.7.2010 - 1 U 69/09 Schadens-Praxis 2011, 14). Weiter ist das LG der Auffassung, Infolge der erlittenen Verletzungen habe die Pflege im bisherigen Umfang nicht fortgeführt werden können. Das Vorbringen der Beklagten zum Gesundheitszustand der zwischenzeitlich verstorbenen Ehefrau des Klägers, der eine heimische Pflege ausgeschlossen habe, sei spekulativ.
2. Das hält einer Überprüfung jedoch nicht stand. Das LG stützt seine Überzeugung zur Pflege der Ehefrau vor dem Unfall sowie die Beurteilung der Ursächlichkeit des vom Kläger erlittenen Unfalls für die Pflege seiner Ehefrau in einem Pflegeheim ausschließlich auf die Anhörung des Klägers. Das ist verfahrensfehlerhaft.
a) Nach den allgemeinen Grundsätzen des Zivilverfahrensrechts müssen bestrittene, erhebliche Parteibehauptungen in der Regel mit den in der ZPO vorgesehenen Beweismitteln bewiesen werden. Die Frage, ob der Tatrichter seine Entscheidung auf bestrittenes Vorbringen einer Partei im Wege der Anhörung nach § 141 ZPO oder der Vernehmung nach § 448 ZPO stützen kann, stellt sich grundsätzlich nur, wenn die Partei sich in Beweisnot befindet (vgl. zu § 448 ZPO BGHZ 110, 363, 365 f.), ihr also keine Beweismittel zur Verfügung stehen oder diese nicht ausreichen (BGHR ZPO § 286 Abs. 1 S 1 Parteianhörung 1). Dass dies der Fall ist, ist nicht ersichtlich. Darauf wäre der Kläger hinzuweisen gewesen.
b) Dem war die erste Instanz auch nicht dadurch enthoben, dass sie das Vorbringen der Beklagten als spekulativ und die Darstellung des Klägers als wahrscheinlich erachtet hat (vgl. BGH, Beschl. v. 7.12.2006 - IX ZR 173/03 Beschl. v. ZPO § 287 Abs. 1 Satz 2 Beweisanträge 2). Richtig ist, dass dann, wenn wie hier die Körperverletzung als durch den Unfall verursachten Primärschaden feststeht, für den Ursachenzusammenhang zwischen dem konkreten Haftungsgrund (dem anspruchsbegründenden Ereignis) und der Schadensfolge - die sog. haftungsausfüllende Kausalität - das Beweismaß verringert ist; eine volle Überzeugung, wie nach § 286 ZPO erforderlich, ist nicht geboten; jedenfalls reicht, je nach Lage des Einzelfalles, eine höhere oder deutlich höhere, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit für die richterliche Überzeugungsbildung aus (§ 287 ZPO; statt aller Müller VersR 2003, 137 ff. m. umfangr. Nachw. z.B. auf BGH, Urt. v. 28.1...