Entscheidungsstichwort (Thema)

Sittliche Rechtfertigung der Erwachsenenadoption

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine sittliche Rechtfertigung der Erwachsenenadoption kommt nicht nur dann in Betracht, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist, sondern auch dann, wenn bei objektiver Betrachtung bestehender Bindungen und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten zu erwarten ist, dass sich eine dem Alter der Beteiligten entsprechende Eltern-Kind-Beziehung noch ausbilden wird.

2. Die Adoption ist jedoch dann sittlich nicht gerechtfertigt, wenn die Absicht der Beteiligten ausschließlich oder in Wahrheit von nicht familienbezogenen Motiven, wie etwa von wirtschaftlichen Interessen, getragen ist.

 

Normenkette

BGB §§ 1741, 1767 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

LG Bad Kreuznach (Beschluss vom 12.04.2005; Aktenzeichen 2 T 22/05)

AG Simmern (Aktenzeichen 9 XVI 3/04)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das LG Bad Kreuznach zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Die Beteiligte zu 2) leidet an Multipler Sklerose und war zweimal kinderlos verheiratet. Nachdem sie im Jahre 2000 erfolglos versucht hatte, die Mutter der Beteiligten zu 1) zu adoptieren, hat sie nunmehr beantragt, die Annahme der im Jahre 1977 geborenen Beteiligten zu 1) als Kind auszusprechen. Die Beteiligte zu 1) ist rumänische Staatsangehörige und hat eine Tochter im Alter von drei Jahren. Sie lebt mit ihren Eltern und ihrem Bruder in Rumänien, wohin auch die Beteiligte zu 2) übersiedeln möchte. In - visumsbedingten - Abständen von drei Monaten besucht die Beteiligte zu 1) die Beteiligte zu 2) in Deutschland jeweils für drei Monate. AG und LG haben den Antrag der Beteiligten zu 2) jeweils nach Anhörung der Beteiligten abgelehnt. Das LG hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, es bestünden Zweifel daran, dass zwischen den Beteiligten in Zukunft eine Eltern-Kind-Beziehung entstehen würde, da die Beteiligte zu 2) zunächst die Mutter der Beteiligten zu 1) habe adoptieren wollen und die Beteiligte zu 1) in Rumänien in einer intakten Familie lebe.

II. Die weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 S. 1 und 2 FGG). In der Sache führt sie zu einem vorläufigen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

Die angefochtene Entscheidung des LG ist nicht frei von Rechtsfehlern, da sie auf unzureichender Tatsachenermittlung beruht. Nach § 1767 Abs. 1 BGB kann ein Volljähriger als Kind angenommen werden, wenn die Annahme sittlich gerechtfertigt ist; davon ist insb. dann auszugehen, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden bereits ein Eltern-Kind-Verhältnis entstanden ist. Eine sittliche Rechtfertigung der Erwachsenenadoption kommt jedoch nach § 1767 Abs. 2 i.V.m. § 1741 Abs. 1 S. 1 BGB auch dann in Betracht, wenn bei objektiver Betrachtung bestehender Bindungen und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten zu erwarten ist, dass sich eine - dem Alter der Beteiligten entsprechende - Eltern-Kind-Beziehung noch ausbilden wird (OLG Zweibrücken v. 11.3.1999 - 3 W 58/99, OLGReport Zweibrücken 2000, 122 ff.; BayObLG FamRZ 2001, 118; KG v. 22.9.1981 - 1 W 3258/81, FamRZ 1982, 641). Bei der Frage, ob die Annahme eines Volljährigen als Kind "sittlich gerechtfertigt" ist, handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Das bedeutet, dass die Feststellung der einzelnen Tatumstände dem Tatrichter vorbehalten ist. Die Frage aber, ob diese Umstände in ihrer Gesamtheit ausreichen, um die Merkmale des unbestimmten Rechtsbegriffs zu erfüllen, stellt eine Rechtsfrage dar, deren unrichtige Beantwortung eine Gesetzesverletzung ist. Die vom Tatrichter verfahrensfehlerfrei festgestellten einzelnen Umstände sind für das Gericht der weiteren Beschwerde zwar bindend; ihre Bewertung ihm Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs obliegt aber in vollem Umfang seiner Nachprüfung (BayObLG FGPrax 2002, 223 ff.).

Das VormG hat demnach zu prüfen, aus welchen Gründen das Annahmeverhältnis zu einem Volljährigen zustande kommen soll. Die Adoption ist dann sittlich nicht gerechtfertigt, wenn die Absicht der Beteiligten allein, ausschließlich oder in Wahrheit von nicht familienbezogenen Motiven wie z.B. von wirtschaftlichen Interessen getragen ist (OLG Zweibrücken v. 11.3.1999 - 3 W 58/99, OLGReport Zweibrücken 2000, 122 ff.; v. 19.1.1983 - 3 W 225/82, FamRZ 1983, 533; v. 12.10.1988 - 3 W 130/88, FamRZ 1989, 537; OLG Celle v. 6.10.1994 - 18 W 22/94, FamRZ 1995, 829).

Die sinngemäße Anwendung des vom Gesetz bei Minderjährigen verwendeten Begriffs des Kindeswohls (§ 1741 Abs. 1 BGB) auf die Adoption eines Volljährigen (§ 1767 Abs. 2 S. 1 BGB) stößt an die Grenze, dass dieser Begriff von den Voraussetzungen der Pflege- und Erziehungsbedürftigkeit des Anzunehmenden nicht gelöst werden kann (BayObLG FGPrax 2002, 223 ff.; Erman/Saar, BGB, 10. Aufl., § 1767 Rz. 4), so dass dessen Beurteilung d...

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