Entscheidungsstichwort (Thema)
Erteilung eines Erbscheins über die Erbfolge nach dem am … in … verstorbenen …, geboren am …, zuletzt wohnhaft gewesen in …. Testament
Leitsatz (redaktionell)
Die Verweisung eines gesetzlichen Erben auf den Pflichtteil im Anschluss an die Einsetzung eines testamentarischen Erben kann sowohl den Ausschluss des Betreffenden von der Erbfolge, als auch den bestehenden Vorrang der gewillkürten Erbfolge bedeuten.
Normenkette
BGB § 2085
Verfahrensgang
LG Mainz (Beschluss vom 30.10.1995; Aktenzeichen 8 T 360/95) |
AG Mainz (Beschluss vom 03.07.1995; Aktenzeichen 4 VI 466/94) |
Tenor
1. Der angefochtene Beschluß und der Beschluß des Amtsgerichts Mainz vom 3. Juli 1995 werden aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Sachbehandlung und Entscheidung, auch über eine eventuelle Erstattung außergerichtlicher Kosten der Beschwerdeverfahren, an das Amtsgericht Mainz zurückverwiesen.
2. Der Gegenstandswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 250 000,– DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Beteiligen zu 1) und 2) sind die Kinder des Erblassers; die Beteiligten zu 3) und 4) sind seine Enkel, Kinder des Beteiligten zu 2). Der Erblasser errichtete am 8. September 1993 ein privatschriftliches Testament, in dem er zunächst seiner Ehefrau … verschiedene von der Beteiligten zu 1) zu erfüllende Vermächtnisse (Rentenzahlung, Wohnrecht) aussetzte. Weiter heißt es in der letztwilligen Verfügung:
„Dafür soll meine Tochter
- mein Haus … straße
- meine Eigentumswohnung …
sowie alle anderen Sachen, die mir gehören allein erben. Mein Sohn … geboren … soll nur seinen Pflichtteil erhalten. Seine Ehefrau hat keinerlei Ansprüche an meinem Nachlaß bzw. an meine Tochter zu stellen. Die beiden Kinder meines Sohnes: … und … erhalten von meiner Tochter an ihrem 21. Geburtstag je 20 000,– DM. …”
In der Folge enthält das Testament insbesondere noch Erklärungen dazu, daß der Sohn des Erblassers bereits ca. 130 000,– DM bis 160 000,– DM erhalten habe sowie Bestimmungen für den Fall, daß die Testamentserbin die Rentenzahlung und das Wohnrecht der Ehefrau nicht, wie gewünscht, durch notarielle Urkunde absichern sollte.
Die Tochter des Erblassers (Beteiligte zu 1) hat die Erbschaft form- und fristgerecht unter Beschränkung auf die gewillkürte Erbfolge ausgeschlagen. Die Ehefrau des Erblassers hat ebenfalls die Ausschlagung der Erbschaft erklärt. Die Beteiligten zu 1) und 2) haben unter Hinweis auf diese Erklärungen die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge beantragt, der sie als Erben zu je 1/2 ausweist. Der Richter des Amtsgerichts hat die Sache der Rechtspflegerin mit dem Hinweis übertragen, daß das Testament vom 8. September 1993 keinen Einfluß auf die Erbfolge habe, weil eine wirksame Ausschlagung vorliege; es gelte gesetzliche Erbfolge. Dessen ungeachtet hat die Rechtspflegerin des Amtsgerichts den Erbscheinsantrag mit Beschluß vom 3. Juli 1995 zurückgewiesen. Die in dem Testament angeordnete Enterbung des Beteiligten zu 2) sei nach wie vor wirksam, an seiner Stelle seien deshalb seine Kinder Miterben geworden.
Das Landgericht hat die Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) mit dem angefochtenen Beschluß zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Enterbung des Beteiligten zu 2) sei eindeutig und müsse in jedem Fall zum Ausschluß des Sohnes von der gesetzlichen Erbfolge führen.
Entscheidungsgründe
II.
Die weitere Beschwerde der Antragsteller gegen diese Entscheidung ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden (§§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1, 20 Abs. 1 FGG). In der Sache führt sie zumindest zu einem vorläufigen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung kann keinen Bestand haben, weil sie auf einer Verletzung des Gesetzes beruht (§ 27 Abs. 1 FGG). Das Landgericht hat die gebotene Auslegung des Testaments im Hinblick auf die erbrechtliche Stellung des Beteiligten zu 2) teilweise unterlassen und insbesondere die §§ 133, 2084, 2085 BGB nicht richtig angewandt. Im einzelnen gilt folgendes:
Zwar ist die Auslegung letztwilliger Verfügungen Sache des Tatrichters und im Rechtsbeschwerdeverfahren nur beschränkt nachprüfbar. Die vorrangige Frage der Auslegungsbedürftigkeit und -fähigkeit einer Verfügung von Todes wegen ist dagegen als Rechtsfrage vom Rechtsbeschwerdegericht voll nachprüfbar (vgl. nur BGH LM Nr. 10 zu § 2084 BGB; BayObLG Rpfleger 1980, 471; Kuntze in Keidel/Kuntze/Winkler, FG Teil A, 13. Aufl., Rdnr. 48 zu § 27 FGG m.w.N.).
Vorliegend hat das Landgericht dem Testament ohne nähere Begründung „eindeutig” eine Enterbung des Beteiligten zu 2) im Sinne einer selbständigen Verfügung entnommen. Das hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Verweisung eines gesetzlichen Erben auf den Pflichtteil im Anschluß an die Einsetzung eines testamentarischen Erben kann vielmehr beides bedeuten: Entweder den (selbständigen) Ausschluß des Betreffenden von der Erbfolge, oder eine bloße Wiederholung des von Gesetzes wegen bestehenden Vorrangs der gewillkürten Erbfolge ohne eigenständigen ...