Leitsatz (amtlich)
Ein Pflichtteilsberechtigter, der nach Eintritt des Erbfalls erbrechtliche Ansprüche prüfen möchte, hat im Regelfall ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in das Grundbuch i.S.v. § 12 Abs. 1 GBO. Ein solches kann nur im Einzelfall ausnahmsweise verneint werden. Für die Annahme eines Ausnahmefalles genügt ein vom Erblasser angeordneter Pflichtteilsentzug nicht, wenn dessen Wirksamkeit eher fernliegt.
Normenkette
GBO § 12 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Mainz (Beschluss vom 06.11.2019; Aktenzeichen WG-4339-29) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts - Grundbuchamt - Montabaur vom 6. November 2019 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung in eigener Zuständigkeit unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats an das Amtsgericht zurückgegeben.
Gründe
I. Der Antragsteller hat gegenüber dem Grundbuchamt des Amtsgerichts Montabaur die Erteilung eines amtlichen Grundbuchausdrucks für sämtliche im (Mit-)Eigentum seiner am xx.xx.20xx verstorbenen Mutter stehenden Grundstücke im Grundbuchbezirk sowie einer Abschrift sämtlicher Übertragungsverträge zu den Grundstücken beantragt. Er hat u.a. geltend gemacht, im Hinblick auf seine Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche ein wirtschaftliches Interesse daran zu haben, in Erfahrung zu bringen, ob die Erblasserin jemals (Mit-)Eigentümerin von Grundstücken im Grundbuchbezirk gewesen sei. Diesen Antrag hat das Grundbuchamt mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen unter Hinweis darauf, dass der Antragsteller durch letztwillige Verfügung (notarielles Testament vom xx.xx.20xx, UR.Nr. xxx d. Notars xxx) ausdrücklich von der Erbfolge ausgeschlossen und ihm sein gesetzlicher Pflichtteil gemäß § 2333 BGB entzogen sei. Dem Grundbuchamt obliege auch keine Prüfungspflicht, ob und inwieweit die Pflichtteilsentziehung aus den angegebenen Gründen im Testament und dem gegenteiligen Sachvortrag des Antragstellers tatsächlich wirksam oder unwirksam sei. Dieser Umstand sei vielmehr in einem besonderen Klageverfahren durch eine "Feststellungs- bzw. Anfechtungsklage" geltend zu machen. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der der Rechtspfleger nicht abgeholfen und die er dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat.
II. Die gemäß §§ 12c Abs. 4, 71 Abs. 1, 73 GBO zulässige Beschwerde, über die nach §§ 72 GBO, 13a, 23a Abs. 2 Nr. 8 GVG, § 4 Abs. 3 Nr. 2 lit. a) GerOrgG Rheinland-Pfalz der Senat zu befinden hat, führt zu dem angestrebten Erfolg, weil der Antragsteller ein berechtigtes Interesse gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 GBO dargelegt hat.
1. Ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in das Grundbuch i.S.v. § 12 Abs. 1 GBO, und zwar auch in Form der Erteilung von Abschriften (§ 12 Abs. 2 GBO), ist gegeben, wenn ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse des Antragstellers vorliegt (vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2013, Az.: V ZB 120/13, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 21; OLG München, Beschluss vom 14. Juni 2018, Az.: 34 Wx 188/18, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 11; OLG Oldenburg, Beschluss vom 30. September 2013, Az.: 12 W 261/13, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 2; Böttcher, in: Meikel, GBO, 11. Aufl. 2015, § 12 GBO, Rdnr. 6 u. 77). Ein solches Interesse wirtschaftlicher Art ist für den Pflichtteilsberechtigten, der nach Eintritt des Erbfalls erbrechtliche Ansprüche prüfen möchte, im Regelfall anerkannt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. September 2015, Az.: 3 Wx 149/15, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 15; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. September 2013, Az.: 11 Wx 57/13, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 10 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17. Februar 2011, Az.: 20 W 72/11, dort Rdnr. 15; OLG München, Beschluss vom 13. Januar 2011, Az.: 34 Wx 132/10, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 12; KG Berlin, Beschluss vom 20. Januar 2004, Az.: 1 W 294/03, zitiert nach Juris; Wilsch, in: BeckOK GBO, 39. Ed. 1. Jun. 2020, § 12 GBO, Rdnr. 72a; Demharter, Grundbuchordnung, 31. Aufl. 2018, § 12 GBO, Rdnr. 12). Davon geht auch der Senat aus.
2. Soweit das Grundbuchamt den Antrag gleichwohl unter Hinweis darauf, dass der Antragsteller durch letztwillige Verfügung ausdrücklich von der Erbfolge ausgeschlossen und ihm sein gesetzlicher Pflichtteil gemäß § 2333 BGB entzogen sei, zurückgewiesen hat, kann dem nicht gefolgt werden.
Zwar kann im Einzelfall das Vorliegen eines Interesses wirtschaftlicher oder tatsächlicher Natur verneint werden, wenn etwa dem Pflichtteilsberechtigten seit vielen Jahren der Erbfall und auch der Umstand, dass er von der Erbfolge ausgeschlossen war, bekannt waren und es in diesem Fall an der besonderen Darlegung eines berechtigten Interesses fehlt (vgl. bei ca. 70 Jahren zurückliegendem Erbfall OLG München, Beschluss vom 13. Januar 2011, Az.: 34 Wx 132/10, zitiert nach Juris). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend jedoch nicht gegeben, liegt insbesondere entgegen der Auffassung des Grundbuchamtes nicht in dem Umstand eines von der Erblasserin im notariellen Testament vom xx.xx.20xx erwäh...