Leitsatz (amtlich)

Wird die befristete Beschwerde ohne mündliche Verhandlung schon vor Ablauf der dem Beschwerdegegner gesetzten Frist zur Beschwerdeerwiderung und vor deren Eingang zurückgewiesen, so kann dann, wenn der Beschwerdegegner schon vor der Begründung der befristeten Beschwerde deren Zurückweisung beantragt hat und die befristete Beschwerde später tatsächlich begründet wurde, der Beschwerdegegner eine 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV - nicht nur eine ermäßigte Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 RVG-VV - erstattet verlangen.

 

Normenkette

FGG § 13a Abs. 1; ZPO § 91 Abs. 1, § 104 Abs. 3; RVG § 11 Abs. 1 RpflegerG, § 13; RVG-VV Nrn. 3200-3201

 

Verfahrensgang

AG Landau (Pfalz) (Beschluss vom 08.11.2006; Aktenzeichen 2 F 20/06)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 01.04.2009; Aktenzeichen XII ZB 12/07)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 373,98 EUR festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien, aus deren Ehe zwei gemeinsame Kinder hervorgegangen sind, sind seit dem Jahr 2000 geschieden. Mit dem vorliegenden, selbständigen Verfahren hat die Antragstellerin in erster Instanz erfolglos die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für eine ehegemeinsame Tochter begehrt. Gegen den ihren Antrag zurückweisenden Beschluss hat sie am 2.8.2006 befristete Beschwerde eingelegt. Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 22.8.2006 hat der Antragsgegner die Zurückweisung der bis dahin noch nicht begründeten Beschwerde beantragt. Mit am 5.9.2006 bei dem Beschwerdegericht eingegangenem Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten hat die Antragstellerin ihre Beschwerde sodann begründet. Mit Verfügung vom 6.9.2006 wurde dem Antragsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme hierauf bis zum 10.10.2006 gegeben. Bereits mit Beschluss des Senats vom 12.9.2006 und vor Eingang eines weiteren Schriftsatzes des Antragsgegners wurde die Beschwerde ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen. Nach der Kostenentscheidung des Beschlusses hat die Antragstellerin die dem Antragsgegner im Beschwerdeverfahren entstandenen Auslagen zu erstatten.

Mit dem angegriffenen Beschluss hat der Rechtspfleger die von der Antragstellerin dem Antragsgegner zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren antragsgemäß auf 373,98 EUR festgesetzt. Dabei ist aus einem Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens i.H.v. 3.000 EUR eine Verfahrensgebühr nach § 13 Nr. 3200 RVG-VV zugrunde gelegt.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, die meint, es sei überhaupt keine, allenfalls aber eine 1,1-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 RVG-VV zu erstatten.

Dagegen verteidigt der Antragsgegner die angegriffene Entscheidung. Sein Verfahrensbevollmächtigter trägt vor, er sei zum - überraschenden - Zeitpunkt der Zustellung des Senatsbeschlusses gerade dabei gewesen, die Beschwerdeerwiderung zu verfassen.

II. Die nach §§ 104 Abs. 3 ZPO, 11 Abs. 1 RPflG zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.

Zu Recht hat der Rechtspfleger die von der Antragstellerin dem Antragsgegner zu erstattenden Kosten auf 373,98 EUR festgesetzt. In dieser Höhe sind dem Antragsgegner Auslagen in Form von Anwaltskosten entstanden, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Beschwerdeverfahren erforderlich waren (§§ 13a Abs. 1 Satz 1 FGG, 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Im Einzelnen gilt Folgendes:

Es entspricht inzwischen der einhellig vertretenen Auffassung, dass der Rechtsmittelgegner die Kosten eines sogleich nach Rechtsmitteleinlegung beauftragten Anwalts für das Rechtsmittelverfahren erstattet verlangen kann (BGH, AGS 2003, 219; Schneider/Wolf, RVG, 3. Aufl., Rnr. 23 zu RVG-VV 3201; Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl., Anm. 6 zu RVG-VV 3201). Das gilt nach überwiegender Auffassung selbst dann, wenn - wie hier nicht - das Rechtsmittel nach der ausdrücklichen Erklärung des Rechtsmittelführers nur zur Fristwahrung eingelegt worden ist (Hartmann a.a.O.).

Umstritten ist hingegen, unter welchen näheren Voraussetzungen nur diejenigen anwaltlichen Tätigkeiten, die mit der ggü. der 1,6-fachen Verfahrensgebühr ermäßigten 1,1-fachen Verfahrensgebühr abgegolten sind, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich sind. Der Ermäßigungstatbestand der RVG-VV 3201 entfällt u.a. dann, wenn der Rechtsanwalt einen Schriftsatz bei Gericht einreicht, der einen Sachantrag enthält. Nach wohl überwiegender Auffassung ist ein solcher, also ein zur Entstehung der 1,6-fachen Verfahrensgebühr führender Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels, dann nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich, wenn und solange die Gegenseite das Rechtsmittel noch nicht begründet hat.

Der vorliegende Fall zeichnet sich nun durch die Besonderheit aus, dass zwar einerseits der Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels vor dessen Begründung gestellt wurde, nach der vorgenannten Auffassung also nicht zur Erstattungsfähigkei...

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