Leitsatz (amtlich)
Wird der Antrag auf Zurückweisung eines Rechtsmittels vor Zustellung der Rechtsmittelbegründung gestellt, das Rechtsmittel dann aber begründet und in der Sache entschieden, ist eine 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV erstattungsfähig (Abgrenzung zu BGH Beschl. v. 3.7.2007 - VI ZB 21/06, FamRZ 2007, 1735 = NJW 2007, 3723).
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1; RVG VV Nrn. 3200; RVG VV § 3201 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Pfälzischen OLG Zweibrücken als Familiensenat vom 13.12.2006 wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
Beschwerdewert: bis 300 EUR
Gründe
I.
[1] Das AG - FamG - hat das Begehren der Antragstellerin auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für die gemeinsame Tochter der Parteien zurückgewiesen. Hiergegen hat die Antragstellerin am 2.8.2006 ohne Begründung befristete Beschwerde beim OLG eingelegt. Darauf hat sich der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners am 23.8.2006 beim OLG für das Beschwerdeverfahren legitimiert und die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt. Am 5.9.2006 ist die Beschwerdebegründung der Antragstellerin beim OLG eingegangen und dem Antragsgegner zur Stellungnahme bis 10.10.2006 zugestellt worden. Das OLG hat die Beschwerde vor Ablauf der Stellungnahmefrist zurückgewiesen und die Kosten des Rechtsmittelverfahrens der Antragstellerin auferlegt.
[2] Der Antragsgegner hat beantragt, die ihm zu erstattenden Kosten gem. § 104 ZPO mit einer 1,6-fachen Verfahrensgebühr (Nr. 3200 RVG-VV) aus einem Gegenstandswert von 3.000 EUR festzusetzen (302,40 EUR zzgl. MWSt.). Das AG hat dem entsprochen. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat das OLG zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte die Antragstellerin erreichen, dass dem festzusetzenden Erstattungsanspruch nur eine 1,1-fache (ermäßigte) Verfahrensgebühr wegen vorzeitiger Beendigung des Auftrags (Nr. 3201 RVG-VV) zugrunde gelegt wird.
II.
[3] Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hat in der Sache keinen Erfolg. Der Antragsgegner kann nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3201 VV die Festsetzung einer 1,6-fachen Verfahrensgebühr verlangen.
[4] 1. Das OLG, dessen Entscheidung in FamRZ 2007, 846 f. veröffentlicht ist, hat den Kostenfestsetzungsbeschluss des AG nicht beanstandet und hierzu ausgeführt: Ein die 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV auslösender Antrag auf Zurückweisung eines Rechtsmittels sei dann nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlich, wenn und solange die Gegenseite das eingelegte Rechtsmittel nicht begründet habe. Vorliegend sei der Zurückweisungsantrag des Antragsgegners zwar vor der Begründung des Rechtsmittels gestellt worden, die Beschwerdebegründung der Antragstellerin sei jedoch später tatsächlich eingegangen. Bei dieser Konstellation sei die 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV erstattungsfähig. Ob eine Tätigkeit des Rechtsanwalts zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung notwendig gewesen sei, beurteile sich nämlich nach den Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Entscheidung über diese Frage. Der verfrühte Antrag auf Zurückweisung der sofortigen Beschwerde habe sich aber nach Eingang der Beschwerdebegründung als sachdienlich und insofern als zu einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig erwiesen. Es wäre eine unangebrachte Förmelei, von dem Rechtsanwalt, der einen verfrühten Antrag gestellt habe, die Wiederholung des Antrags zu verlangen, wenn sich dessen Erforderlichkeit später eingestellt habe.
[5] 2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand. Auch wenn der Rechtsmittelgegner vor Zustellung der Rechtsmittelbegründung die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt, können die dadurch entstehenden Anwaltsgebühren im Einzelfall zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Kosten i.S.v. § 91 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO darstellen.
[6] a) Durch die Einreichung des Schriftsatzes, mit dem die Zurückweisung der Beschwerde beantragt wurde, ist grundsätzlich nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3200 RVG-VV eine nach dem Gegenstandswert von 3.000 EUR zu berechnende 1,6-fache Verfahrensgebühr entstanden.
[7] Die 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV entsteht für das Betreiben des Geschäfts, wozu auch das Einreichen von Schriftsätzen bei Gericht gehört. Die Verfahrensgebühr ermäßigt sich zwar bei einer vorzeitigen Beendigung des Auftrags nach Nr. 3201 Nr. 1 RVG-VV auf eine 1,1-fache Gebühr. Hat aber der Rechtsanwalt bereits einen Schriftsatz eingereicht, der die Sachanträge oder einen Sachvortrag enthält, kommt - wie sich aus Nr. 3201 Satz 1 Nr. 1 RVG-VV ergibt - eine vorzeitige Beendigung des Auftrags und damit eine Ermäßigung der Gebühr nicht mehr in Betracht (BGH Beschl. v. 2.10.2008 - I ZB 111/07, FamRZ 2009, 113).
[8] b) Hiervon ist jedoch die Frage zu unterscheiden, ob der Antragsgegner diese Kosten von der Antragstellerin als der unterliegenden Beschwerdeführerin erstattet verlangen kann. Dies setzt nach § 91 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO voraus, dass der Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig war. Die Erstattung der aufgewendeten Kosten kann eine Partei dabei nur insoweit erwarten, als sie der ihr aus dem Prozessrechtsverhältnis obliegenden Pflicht nachgekommen ist, die Kosten möglichst niedrig zu halten (BGH Beschl. v. 3.7.2007 - VI ZB 21/06, NJW 2007, 3723).
[9] aa) Die mit einem Rechtsmittel überzogene Partei darf bereits vor dessen Begründung einen Rechtsanwalt beauftragen und die entstandenen Kosten im Falle ihres Obsiegens nach § 91 Abs. 1 ZPO vom Gegner erstattet verlangen (vgl. BGH Beschl. v. 17.12.2002 - X ZB 9/02, FamRZ 2003, 522). Nach der Rechtsprechung des BGH ist allerdings ein die 1,6-fache Verfahrensgebühr auslösender Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels im erstattungsrechtlichen Sinne grundsätzlich nicht notwendig, sofern der Rechtsmittelführer noch keinen Antrag und keine Rechtsmittelbegründung eingereicht hat. Im Normalfall besteht nämlich kein Anlass für den Rechtsmittelgegner, mit der Verteidigungsanzeige seines Prozessbevollmächtigten zugleich den Sachantrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels anzukündigen. Der Rechtsmittelgegner kann sich erst nach Vorliegen der Rechtsmittelbegründung mit Inhalt und Umfang des Angriffs auf die Entscheidung der Vorinstanz sachlich auseinandersetzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag sowie dessen Begründung das Verfahren fördern. Es ist nicht ersichtlich, welche Prozessförderung von einem Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels ausgehen könnte, solange mangels einer Rechtsmittelbegründung eine sachgerechte Prüfung des Rechtsmittels nicht möglich ist. Das gilt unabhängig davon, ob das Rechtsmittel ausdrücklich nur zur Fristwahrung eingelegt wurde oder nicht (BGH Beschl. v. 3.7.2007 - VI ZB 21/06, FamRZ 2007, 1735 = NJW 2007, 3723; vgl. auch Beschlüsse v. 2.10.2008 - I ZB 111/07, FamRZ 2009, 113; v. 3.6.2003 - VIII ZB 19/03, FamRZ 2003, 1461).
[10] bb) Vorliegend ist eine andere Beurteilung aber deshalb geboten, weil die Antragstellerin ihre Beschwerde nach dem verfrühten Zurückweisungsantrag des Antragsgegners noch begründet und das Beschwerdegericht in der Sache entschieden hat (ebenso OLG Oldenburg JurBüro 2007, 208, 209; OLG Stuttgart JurBüro 2007, 36; OLG Hamburg OLGReport Hamburg 2006, 814, 816 und MDR 2003, 1318, 1319; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe RVG 18. Aufl. VV 3200 Rz. 64; AnwKomm/Schneider RVG 4. Aufl. VV 3201 Rz. 51; a.A. OLG München FamRZ 2006, 221, 222; OLG Düsseldorf OLGReport Düsseldorf 2003, 478).
[11] Zwar beurteilt sich die Frage, ob aufgewendete Prozesskosten zu einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung i.S.v. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO notwendig waren, grundsätzlich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte (BGHZ 166, 117, 124; BGH Beschlüsse v. 20.10.2005 - VII ZB 53/05, NJW 2006, 446, 447; v. 11.11.2003 - VI ZB 41/03, NJW-RR 2004, 430; v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, FamRZ 2003, 441, 443). Nach Einreichung der Rechtsmittelbegründung kann dem Rechtsmittelgegner aber ein berechtigtes Interesse nicht abgesprochen werden, mit anwaltlicher Hilfe eine Zurückweisung des Rechtsmittels anzustreben und einen entsprechenden Antrag anzukündigen. In diesem Zeitpunkt, auf den der verfrühte Zurückweisungsantrag fortwirkt (OLG Stuttgart JurBüro 2007, 36), war eine Verteidigung somit notwendig und wäre mit Kosten in der geltend gemachten Höhe verbunden gewesen. Diese wären bei einer Antragstellung nach Eingang der Rechtsmittelbegründung zweifellos auch erstattungsfähig gewesen.
[12] Unter solchen Umständen kann es für die Frage der Erstattungsfähigkeit aber nicht auf die zeitliche Reihenfolge der jeweiligen Anträge ankommen. Vielmehr muss bei wertender Betrachtung davon ausgegangen werden, dass die dem Rechtsmittelgegner tatsächlich entstandenen Anwaltskosten als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlich geworden sind. Es würde - wie das Beschwerdegericht zu Recht angenommen hat - auf eine unnötige Förmelei hinauslaufen, von dem Rechtsmittelgegner zu erwarten, dass er nach Eingang der Rechtsmittelbegründung nochmals einen Schriftsatz mit einem Gegenantrag bei Gericht einreicht, um die Erstattungsfähigkeit der vollen Verfahrensgebühr herbeizuführen. Dieser Beurteilung steht die Entscheidung des VI. Zivilsenats (Beschl. v. 3.7.2007 - VI ZB 21/06, FamRZ 2007, 1735 = NJW 2007, 3723) nicht entgegen, da sie einen Fall betraf, in dem der Auftrag vorzeitig beendet worden ist, so dass sich der verfrüht gestellte Antrag nicht nachträglich als notwendig erweisen konnte.
Fundstellen