Leitsatz (amtlich)
Vollstreckungsschutz nach § 765 a Abs. 1 S. 1 ZPO ist nicht allein deswegen zu gewähren, weil die betagte Schuldnerin nach der Pfändung ihrer Rente und ihrer Hinterbliebenenbezüge in Folge der Höhe der Kosten ihrer krankheitsbedingt notwendigen Unterbringung in einem Seniorenpflegeheim Sozialhilfe beantragen muss.
Normenkette
ZPO § 568 Abs. 2 S. 2 a.F., §§ 765a, 850c, 850f Abs. 1
Verfahrensgang
AG Ludwigshafen (Aktenzeichen 3 d M 840/01) |
LG Frankenthal (Pfalz) (Aktenzeichen 5 T 53/01) |
Tenor
1. Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird zurückgewiesen.
3. Die Schuldnerin hat die Kosten des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde zu tragen.
4. Der Wert des Beschwerdegegenstandes für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf bis zu 9.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die sofortige weitere Beschwerde der Schuldnerin ist nach den hier noch anzuwendenden Vorschriften der Zivilprozessordnung in der Fassung vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses am 1.1.2002 (§ 26 Nr. 10 EGZPO) statthaft und auch im Übrigen verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden (§§ 793 Abs. 2, 577 Abs. 2, 569 ZPO a.F.). Der gem. § 568 Abs. 2 S. 2 ZPO a.F. erforderliche neue selbstständige Beschwerdegrund liegt darin, dass das LG den Beschluss der Rechtspflegerin des AG Ludwigshafen am Rhein vom 30.4.2001 zum Nachteil der Schuldnerin abgeändert hat. In der Sache bleibt die sofortige weitere Beschwerde jedoch ohne Erfolg.
Der auf § 765a Abs. 1 S. 1 ZPO gestützte Vollstreckungsschutzantrag der Schuldnerin ist nicht begründet. Der Senat ist mit dem LG der Auffassung, dass die Pfändung der Forderungen der Schuldnerin auf „Zahlung der gegenwärtigen und zukünftigen Ruhegelder/Rentenbezüge” die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Vorschrift greift nur ein, wenn eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. § 765a ZPO ist damit als Ausnahmevorschrift eng auszulegen (BGHZ 44, 138 [143] = MDR 1965, 899; OLG Frankfurt v. 12.12.1980 – 20 W 714/80, OLGZ 1981, 250 = MDR 1981, 412). Sachliche Einwendungen gegen den Bestand oder die Höhe des titulierten Anspruchs vermögen eine sittenwidrige Härte nicht zu begründen. Mit Härten, die jede Zwangsvollstreckung mit sich bringt, muss sich ein Schuldner abfinden. Daher genügt es nicht, dass die Zwangsvollstreckung überhaupt durchgeführt wird (OLG Köln v. 14.1.1991 – 2 W 221/90, MDR 1991, 452 = NJW-RR 1992, 126; v. 19.12.1994 – 2 W 178/94, OLGReport Köln 1996, 11 = NJW-RR 1995, 1472) und eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme einen erheblichen Eingriff in den Lebenskreis des Schuldners bewirkt (OLG Frankfurt v. 12.12.1980 – 20 W 714/80, OLGZ 1981, 250 = MDR 1981, 412). Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO ist nur in besonders gelagerten Fällen zu gewähren, nämlich nur dann, wenn im Einzelfall das Vorgehen des Gläubigers zu einem ganz untragbaren Ergebnis führen würde (BGHZ 44, 138 [143] = MDR 1965, 899; OLG Frankfurt v. 18.8.1980 – 20 W 484/80, Rpfleger 1981, 24; OLG Hamm WuM 1983, 267; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 21. Aufl., § 765a Rz. 1a). Das gilt insbesondere für die – hier in erster Instanz ausgesprochene – Aufhebung einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme (OLG Düsseldorf v. 29.1.1986 – 3 W 449/85, NJW-RR 1986, 1512; LG Frankenthal JurBüro 2000, 439; Zöller/Stöber, ZPO, 22. Aufl., § 765a Rz. 15; vgl. auch BVerfG v. 8.9.1997 – 1 BvR 1147/97, NJW 1998, 295 [296]). Gegenüber anderen Schutzvorschriften der Zivilprozessordnung hat § 765a ZPO dem Grundsatz nach zwar nicht nur subsidiäre Bedeutung. Weil die Vorschrift als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist, kann ein Schutzbedürfnis aber nicht gegeben sein, wenn der Schuldner bereits nach anderen Bestimmungen ausreichend geschützt ist oder werden kann. Die strengen Voraussetzungen des § 765a ZPO können daher nur erfüllt sein, wenn der erforderliche Schutz nicht nach allgemeinen Vorschriften gewährt werden kann (Zöller/Stöber, ZPO, 22. Aufl., § 765a Rz. 13). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht vor:
Der Gläubiger, der einen Vollstreckungstitel für Forderungen aus dem früher mit der Schuldnerin bestehenden Mietverhältnis erwirkt hat, nimmt die ihm gesetzlich eröffneten Vollstreckungsmöglichkeiten wahr. Wie das Vermögensverzeichnis der Schuldnerin vom 29.1.2001 erkennen lässt, sind die Forderungen gegen die weiteren Beteiligten (Drittschuldnerinnen) praktisch ihr einziges verwertbares Vermögen. Dass die Schuldnerin nach ihrem Vermögensverzeichnis kein weiteres Einkommen erzielt und – nach ihrer Behauptung – im Falle der Ablehnung ihres Vollstreckungsschutzantrages Sozialhilfe beantragen muss, ist kein ganz besonderer Umstand, der eine sittenwidrige Härte i.S.d. § 765a ZPO begründen könnte. Für die Anwendung der Vorschrift genügen weder ...