Leitsatz (amtlich)
1. Ein zur Anfechtung der Erbausschlagung berechtigender Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses liegt nur vor, wenn sich der Anfechtende über die Zusammensetzung des Nachlasses (Zugehörigkeit bestimmter Aktiva oder Passiva zum Nachlass) geirrt hat, nicht hingegen bei bloßen Fehlvorstellungen über den Wert einzelner Nachlassgegenstände oder -verbindlichkeiten.
2. Auch ein grundsätzlich beachtlicher Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses führt nur dann zu einer wirksamen Anfechtung, wenn er für letztere bei wirtschaftlicher Betrachtung kausal war, d.h. der Erbe die Ausschlagung bei Kenntnis der Sachlage nicht erklärt hätte, woran es fehlt, wenn die Ausschlagung im Hinblick auf eine (mutmaßliche) Überschuldung erklärt wurde und der einzig beachtliche Irrtum sich auf die Existenz eines Guthabens bezog, welches bei Berücksichtigung durch den Erben an dessen (Fehl-)Vorstellung hinsichtlich der Überschuldung des Nachlasses nichts geändert hätte.
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Betzdorf vom 21.06.2023 abgeändert wie folgt:
1. Der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2) gemäß der Urkunde des Notars ... in ... vom 06.01.2023 (UVZ-Nr. 8/...), eingereicht am 19.01.2023, wird zurückgewiesen.
II. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden niedergeschlagen. Eine Kostenerstattung wird nicht angeordnet.
III. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf einen Wert in der Stufe bis 6.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die am 03.01.1915 geborene Erblasserin ist am 29.04.2021 im Alter von 106 Jahren in W... verstorben, wo sie seit längeren Jahren in einem Seniorenheim lebte. Für sie war beim Amtsgericht Betzdorf unter dem Az.: 61 XVII 161/16 eine Betreuung errichtet und ein (familienfremder) Betreuer bestellt worden. Zur Deckung ihres Pflegebedarfs und der Heimkosten bezog sie Leistungen von der Hauptfürsorgestelle des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) aus Mitteln der Kriegsopferfürsorgestelle. Diese wurden als Darlehen gewährt wurden, da die Erblasserin als Miteigentümerin eines Hausanwesens zu 1/3 Vermögen besaß. Zur Absicherung des Darlehens waren auf diesem 1/3 Miteigentumsanteil auch zwei Grundschulden für den LVR über insgesamt 71.000,00 EUR eingetragen (vgl. Bl. 32 und 33 d.BA.: 12 VI 307/21).
Die Erblasserin war mit dem bereits 1941 verstorbenen P.A. verheiratet. Aus der Ehe waren zwei Kinder hervorgegangen, nämlich der E.A. und die E.U., geb. A., die beide bereits vorverstorben sind.
Der am 26.12.2004 vorverstorbene E.A. hatte seinerseits zwei Kinder, nämlich den ebenfalls bereits vorverstorbenen (am 31.12.2011) U.A. und die Beteiligte zu 2). Der vorverstorbene U.A. hat seinerseits wiederum zwei Kinder hinterlassen, nämlich die Beteiligten zu 1) und 3) (Zwillingsbrüder). Die am 26.12.2017 vorverstorbene E.U. hat wiederum zwei Kinder hinterlassen, nämlich den R.U. und den F.U.
Nach dem Tod der Erblasserin, die kein Testament hinterlassen hatte, hat zunächst die Beteiligte zu 2) mit Erklärung vom 28.05.2021 das Erbe ausgeschlagen und dabei angegeben, dass der Nachlass nach ihrer Kenntnis überschuldet sei (s.Bl. 2 d.BA.: 12 VI 307/21). In der Folge haben auch die beiden Töchter der Beteiligten zu 2) sowie R. und F. U. nebst deren jeweiligen Kindern das Erbe ausgeschlagen. Nicht ausgeschlagen haben dagegen die Beteiligten zu 1) und 3).
Zwischenzeitlich hatte das Nachlassgericht auf Antrag des LVR wegen einer Forderung gegen die Erben in Höhe von 49.999,70 EUR die Beteiligte zu 4) zur Nachlasspflegerin bestellt. Diese wirkte mit den weiteren Eigentümern des Hausanwesens F. und R. U. an dem Verkauf des Hausanwesens an Dritte zu einem Kaufpreis von 190.000,00 EUR mit. Die von ihr im Rahmen der entsprechenden Urkunde über den Kaufvertrag des Notars Dr. H. in W.l vom 03.05.2022 (Bl. 48 d.BA.: 12 VI 432/12) abgegebenen Erklärungen hat das Nachlassgericht durch Beschluss vom 02.06.2022 (Bl. 83 d.BA.: 12 VI 432/12) nach Anhörung einer zuvor für die unbekannten Erben der Erblasserin bestellten Verfahrenspflegerin genehmigt.
Mit Erklärung vom 12.10.2022 (Bl. 60 d.BA.: 12 VI 307/21) hat die Beteiligte zu 2) ihre Erklärung zur Erbausschlagung sodann wegen Irrtums angefochten. Insoweit hat sie ausgeführt, dass sie nach der Erbausschlagung durch Gespräche mit der Nachlasspflegerin am 19. und 28.09.2022 erfahren habe, dass sich im Nachlass der Erblasserin ein die Nachlassverbindlichkeiten übersteigender Grundbesitzanteil und ein ihr bislang unbekanntes Bankkonto bei der Kreissparkasse Köln, das einen vierstelligen Geldbetrag aufweise, befinde, so dass eine Überschuldung des Nachlasses doch nicht gegeben sei.
Danach hat sie in der Urkunde des Notars M. in A. vom 06.01.2023, eingereicht beim Amtsgericht - Nachlassgericht - Betzdorf am 10.01.2023 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der aufgrund gesetzlicher Erbfolge sie - die Beteiligte zu 2) - als Erbin zu 1/2 Anteil und die Beteiligten zu 1) und 3) als ...