Leitsatz (amtlich)
Legt der Angeklagte sowohl ein Foto von einem positiven Selbsttest als auch ein ärztliches Attest vor, mit dem - nach telefonischer Konsultation des Arztes - das Vorliegen einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bestätigt wird, hat er schlüssig einen Sachverhalt vorgetragen, der geeignet ist, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen
Verfahrensgang
LG Frankenthal (Pfalz) (Entscheidung vom 25.08.2022) |
Tenor
I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 4. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 25.08.2022 aufgehoben.
II.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Kammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Bad Dürkheim hat den Angeklagten mit Urteil vom 04.09.2020 wegen Betrugs und Erschleichen von Leistungen in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Frankenthal (Pfalz) mit Urteil vom 25.08.2022 gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Angeklagte mit E-Mail vom 23.08.2022 mitgeteilt habe, an Corona erkrankt zu sein und deshalb den Termin nicht wahrnehmen zu können. Ihm sei unter Hinweis auf die Folge des Nichterscheinens erklärt worden, dass er ein Attest vorlegen müsse. Der Angeklagte habe mitgeteilt, sein Hausarzt sei im Urlaub und er selbst befinde sich in Quarantäne. Sodann habe er ein Lichtbild eines positiven Coronatests vorgelegt. Nachdem die Geschäftsstelle erneut mitgeteilt habe, dass ein ärztliches Attest oder der Nachweis einer Coronaerkrankung in Form eines schriftlichen Testergebnisses vorgelegt werden müsse, habe er am 25.02.2022 ein ärztliches Attest vorgelegt, aus dem sich ergebe, dass er bei einer Praxis angerufen und dort erklärt habe, er sei hochfiebrig und habe eine Covid-19-Infektion. Eine ärztliche Untersuchung habe nicht stattgefunden. Weitere Entschuldigungsgründe seien nicht bekannt geworden.
I.
Die Revision hat mit der formgerecht gemäß § 344 Abs. 2 StPO erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO Erfolg, da das Landgericht rechtsfehlerhaft davon ausgegangen ist, der Angeklagte sei nicht genügend entschuldigt.
1. Gemäß § 329 Abs. 1 StPO hat das Gericht die Berufung zu verwerfen, wenn bei Beginn des Hauptverhandlungstermins der Angeklagte nicht erschienen und sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist.
Der Begriff der "genügenden Entschuldigung" ist zugunsten des Angeklagten weit auszulegen. Denn § 329 Abs. 1 StPO enthält eine Ausnahme von der Regel, dass ohne den Angeklagten nicht verhandelt werden darf, und birgt die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich (BGH, Beschluss vom 01.08.1962 - 4 StR 122/62, NJW 1962, 2020; Senat, Beschlüsse vom 27.08.2007 - 1 Ws 337/07, juris Rn. 2, vom 07.11.2011 - 1 Ss 85/10). Eine genügende Entschuldigung im Sinne von § 329 Abs. 1 StPO ist anzunehmen, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Angeklagten einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Angeklagten unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolge dessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann (Senat, Beschluss vom 07.09.2011 - 1 Ss 85/10; Gössel in LR-StPO, 26. Aufl., § 329 Rn. 33 mwN). Eine Krankheit entschuldigt insbesondere dann, wenn sie nach Art und Auswirkungen eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar macht (Senat, Beschluss vom 30.08.2011 - 1 Ss 29/11; OLG Hamm, Beschluss vom 08.04.1998 - 2 Ss 394/98, NStZ-RR 1998, 281, 282). Wird eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vorgebracht, ist das Fernbleiben eines Angeklagten nicht nur durch eine Verhandlungsunfähigkeit gerechtfertigt, sondern bereits durch die Schutzbedürftigkeit anderer Prozessbeteiligter vor einer Infektion (BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 - 206 StRR 286/22, juris Rn. 11).
Bei der Prüfung, ob die Voraussetzung einer Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO vorliegen, kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob und in welcher Form der Angeklagte sich entschuldigt hat, sondern ob er tatsächlich entschuldigt ist. Den Angeklagten trifft hinsichtlich des Entschuldigungsgrundes keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder gar zu einem lückenlosen Nachweis. Bloße Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens dürfen nicht zu Lasten des Angeklagten gehen. Nur der Nachweis, dass die Entschuldigung unwahr ist, lässt sie als ungenügend erscheinen. Bloßen Zweifeln hat das Gericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachzugehen (BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 - 206 StRR 286/22, juris Rn. 15 ff. mwN; Senat, Beschluss vom 31.07.2015 - 1 OLG 1 Ss 65/15; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 329 Rn. 20 ff.; Paul in KK-St...