Leitsatz (amtlich)
1. Kein Verwertungsverbot hinsichtlich einer Blutprobe, die im Bezirk des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken im November 2008 an einem Werktag um 15.40 Uhr auf polizeiliche Anordnung entnommen worden ist, obwohl Gefahr im Verzug nicht vorgelegen hat.
2. Einzelfall einer noch ohne Beschuldigtenbelehrung zulässigen polizeilichen Befragung bei Verdacht einer Drogenfahrt.
Verfahrensgang
AG Germersheim (Entscheidung vom 13.11.2009) |
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Germersheim vom 13. November 2009 geändert und wie folgt neu gefasst:
Der Betroffene wird wegen fahrlässigem Führen eines Kraftfahrzeugs unter Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis zu einer Geldbuße von 250 € verurteilt. Gegen ihn wird ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt (§§ 24a Abs. 2 und 3, 25 Abs. 1 StVG, Anlage zu § 24a StVG).
2. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
3. Der Betroffene hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gebühr für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird um 1/6 ermäßigt. Die Landeskasse trägt 1/6 der im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen Auslagen einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen.
Gründe
1. Die Bußgeldrichterin des Amtsgerichts Germersheim hat den Betroffenen am 13.
November 2009 wegen (fahrlässigem) Führen eines Fahrzeugs unter Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis zu einer Geldbuße von 500 € verurteilt und ein Fahrverbot von 3 Monaten gegen ihn festgesetzt (§§ 24a Abs. 2 und 3 StVG, 25 Abs. 1 StVG, Anlage zu § 24a StVG). Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts gerügt wird. Es wird geltend gemacht, das Amtsgericht habe zu Unrecht Sachangaben des Betroffenen gegenüber der Polizei verwertet, die ohne ordnungsgemäße Belehrung zustande gekommen seien. Ebenso unverwertbar sei auch die dem Betroffenen entnommene Blutprobe, da sie ohne richterliche Anordnung bewirkt worden sei, obwohl die Voraussetzungen der "Gefahr im Verzug" nicht vorgelegen hätten. Zur Sachrüge wird ausgeführt, das Amtsgericht habe keine hinreichenden Feststellungen zur Begründung des Schuldspruchs getroffenen, sondern sich nur auf Vermutungen gestützt.
Der Einzelrichter des Senats hat durch Beschluss vom 4. August 2010 gemäß § 80a OWiG das weitere Verfahren dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen. Zur Begründung ist in dem Beschluss ausgeführt:
"Es ist geboten, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen (§ 80a Abs. 3 S. 1 OWiG); dies betrifft die Fragen des Vorliegens einer sog. informatorischen Vernehmung (§ 46 Abs. 1 OWiG; §§ 163a Abs. 4, 136 Abs. 1 StPO) sowie der Annahme von Gefahr im Verzug bei der Anordnung einer Blutentnahme (§ 81a Abs. 2 StPO)."
Das zulässige Rechtsmittel bleibt hinsichtlich des Schuldspruches ohne Erfolg. Das Amtsgericht hat den Betroffenen zu Recht verurteilt; auch die erhobenen Verfahrensrügen erweisen sich als unbegründet. Hinsichtlich der Rechtsfolgen führt aber die Sachrüge zu einer Ermäßigung von Geldbuße und Fahrverbot.
2. Nach den in erster Instanz getroffenen Feststellungen fuhr der Betroffene am Donnerstag, den 20. November 2008 gegen 14.30 Uhr mit dem Pkw von Speyer nach Germersheim, wo er auf der Polizeiinspektion einen Bekannten abholen wollte.
Der auf der Dienststelle anwesende Polizeibeamte P. gewann den Eindruck, der Betroffene stehe unter Drogeneinfluss. Auf seine Frage, wie er nach Germersheim gekommen sei, erklärte der Betroffene, er sei mit dem Auto gefahren. Daraufhin belehrte der Polizeibeamte den Betroffenen als Beschuldigten und setzte die Befragung fort, wobei sich der Betroffene in Widersprüche verwickelte. Nachdem ein freiwilliger Drogenvortest ein "positives" Ergebnis erbrachte, ordnete P. wegen Gefahr im Verzug eine Blutprobe an, die um 15.40 Uhr auf der Wache entnommen wurde. Sie ergab einen THC-Wert von 18,7 ng/ml, der auf eine engfristige Cannabisaufnahme und einen deutlichen akuten Cannabiseinfluss zum Entnahmezeitpunkt hinweist.
Die demgegenüber von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen erweisen sich im Ergebnis als unbegründet.
3. Es begründet keine Verletzung des Verfahrensrechts, dass das Amtsgericht auch die vor der Beschuldigtenbelehrung gefallene Äußerung des Betroffenen verwertet hat, er sei mit dem Auto nach Germersheim gefahren. Seit einer Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1992 ist zwar anerkannt, dass der Verstoß gegen die Belehrungspflicht bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten durch die Polizei (§§ 163a Abs. 4 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO; hier i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG) grundsätzlich ein Verwertungsverbot nach sich zieht (BGH NJW 1992, 1463 = BGHSt 38, 214; vgl. a. Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 136 Rn. 20). Dabei wird aber davon ausgegangen, dass nicht jeder unbestimmte Tatverdacht bereits die Beschuldigteneigenschaft begründet mit der Folge einer entsprechenden Belehrungspflicht; vielmehr kommt es auf die Stärke des V...