Verfahrensgang

AG Pirmasens (Beschluss vom 01.02.2022; Aktenzeichen 1 F 421/21)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Pirmasens vom 1. Februar 2022 wird zurückgewiesen.

2. Die Kindesmutter hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die elterliche Sorge für die 15-jährige ... steht der Kindesmutter alleine zu; der nicht sorgeberechtigte Kindesvater lebt in .... Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob der sorgeberechtigten Kindesmutter das Recht zur Entscheidung über eine Covid-19-Impfung entzogen werden soll.

... wurde im Februar 2020 auf eigenen Wunsch in Obhut genommen und verweigerte im Anschluss (unter anderem aufgrund von Gewalterfahrungen) die Rückkehr in den mütterlichen Haushalt.

In dem vom Jugendamt eingeleiteten Verfahren betreffend gerichtliche Maßnahmen bei Kindeswohlgefährdung 1 F 163/20 (Amtsgericht - Familiengericht - Pirmasens) stellte die Sachverständige Dr. ..., Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, in ihrem schriftlichen Gutachten vom 27. April 2022 in Bezug auf ... eine Kindeswohlgefährdung im Falle eines Verbleibs im mütterlichen Haushalt fest. Danach liege zwischen ... und ihrer Mutter eine verstrickte, von negativen Emotionen getragene Interaktion vor. Die Minderjährige wisse sich nicht anders zu helfen, als einen klaren Schlussstrich zu ziehen und sich massiv gegenüber der Kindesmutter abzugrenzen. Der Kontaktabbruch durch ... sei sozusagen ein Schutzmechanismus. Die Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter sei aufgrund einer ... Erkrankung beeinträchtigt. In den mütterlichen Haushalt solle ... nicht zurückkehren, sie sei dort in mehrfacher Weise misshandelt worden.

Seither ist ... mit Zustimmung der Kindesmutter fremduntergebracht. Gerichtliche Maßnahmen wegen Kindeswohlgefährdung waren in dem genannten Verfahren im Hinblick auf die Mitwirkung der Kindesmutter an der Fremdunterbringung nicht erforderlich.

... lehnt jeglichen Kontakt zur Mutter ab. Bei der Großmutter mütterlicherseits hält sie sich alle 14 Tage am Wochenende und in den Sommerferien auf. Dort trifft sie auch ihre jüngere Halbschwester Y....

Da ... in ihrer Wohngruppe bereits seit längerer Zeit den Wunsch geäußert hatte, gegen Corona geimpft zu werden und die Kindesmutter (und nach deren Angaben auch der Kindesvater) eine Covid 19- Impfung strikt ablehnt, hat das Jugendamt im November 2021 das vorliegende Verfahren, in dem der Kindesvater formlos beteiligt wurde, eingeleitet.

Mit dem angefochtenen Beschluss, auf den zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes erster Instanz sowie wegen der Gründe Bezug genommen wird, hat das Familiengericht der Kindesmutter die elterliche Sorge in dem Teilbereich des Rechts zur Entscheidung über eine Covid 19-Impfung entzogen, insoweit Ergänzungspflegschaft angeordnet und das Jugendamt ... zum Ergänzungspfleger bestellt. Zur Abwendung der bereits eingetretenen Kindeswohlgefährdung sei die Kindesmutter, wie sich aus dem im Verfahren 1 F 163/20 eingeholten Gutachten der Diplom-Psychologin ... ergebe, nicht in der Lage. Die von der Sachverständigen getroffenen Feststellungen bestünden unverändert fort. Zudem habe die Kindesmutter hinsichtlich der Covid 19- Impfung irrationale Ideen und sei auch aus diesem Grunde völlig ungeeignet, in diesem Bereich eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu treffen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kindesmutter, mit der sie die Aufhebung der kindesschutzrechtlichen Maßnahme verlangt. Sie macht geltend, das Kindeswohl sei durch das Unterbleiben der Impfung nicht gefährdet. Die Coronaschutzimpfung sei zur Abwendung einer bestehenden Gefahr weder erforderlich noch geeignet. Die Impfung schütze noch nicht einmal vor einem schweren Verlauf der Krankheit. Mit schwerwiegenden Impfschäden sei zu rechnen. Zudem sei ...zu einer eigenen Willensbildung bezüglich der Impfung nicht in der Lage.

Nach Erlass der erstgerichtlichen Entscheidung hat ...zwei Coronaschutzimpfungen erhalten.

Der Senat hat die Beteiligten am 15. Juli 2022 mündlich angehört und die beigezogene Akte 1 F 163/20, Amtsgericht Pirmasens, zum Gegenstand der Anhörung gemacht. Auf den Vermerk der Anhörung wird Bezug genommen.

Laut Mitteilung der Vertreterin des Jugendamtes hat die Kindesmutter die Zustimmung zur Fremdunterbringung von ...zwischenzeitlich zurückgezogen, woraufhin das Jugendamt erneut ein Verfahren betreffend Maßnahmen bei Kindeswohlgefährdung eingeleitet hat.

II. 1. Die Beschwerde ist verfahrensrechtlich bedenkenfrei, insbesondere nach § 58 FamFG statthaft. Auch die Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG wurde gewahrt. Diese hat nicht bereits mit der Zustellung an die Kindesmutter am 9. Februar 2022 (vgl. Bl. 105 AG) zu laufen begonnen, weil das Familiengericht entgegen §§ 15 Abs. 2 FamFG, 172 ZPO seine Entscheidung an die Kindesmutter und nicht an ihren Verfahrensbev...

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