Leitsatz (amtlich)
Ist ein Miterbe vom Erblasser auch mit einer Ausgleichspflicht i.S.v. §§ 2316, 2050 Abs. 3 BGB belastet worden, so errechnet sich das Wertverhältnis zwischen seinem Erb- und seinem Pflichtteil nach der sog. Werttheorie mit der Folge, dass die Ausschlagungsfrist nach § 2306 Abs. 1 BGB erst beginnt, wenn der Miterbe weiß, ob der Wert seines Erbteils den ihm unter Berücksichtigung der gesetzlichen Ausgleichspflicht zukommenden Pflichtteil übersteigt oder nicht.
Normenkette
BGB § 2306 Abs. 1, § 1944 Abs. 1, § 2050 Abs. 3, § 2303 Abs. 1, § 2306 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Verfahrensgang
LG Kaiserslautern (Urteil vom 21.07.2005; Aktenzeichen 4 O 558/03) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten zu 2) wird das Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des LG Kaiserslautern vom 21.7.2005 teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, der Klägerin an dem Hausanwesen in ..., ..., eingetragen im Grundbuch von K. Bl. ..., Fl.St.Nr. ... Abt. II, das lebenslängliche unentgeltliche und sicherungsfreie Nießbrauchsrecht durch Eintragung in das Grundbuch zu bewilligen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Berufung der Beklagten zu 1) gegen das vorgenannte Urteil wird zurückgewiesen.
I. Die Gerichtskosten tragen die Klägerin und Beklagte zu 1) je zur Hälfte; die Klägerin trägt die außergerichtlichen Auslagen der Beklagten zu 2), die Beklagte zu 1) die Hälfte der außergerichtlichen Auslagen der Klägerin; im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Auslagen selbst.
IV. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 000 EUR, für die Beklagten i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beklagten sind die Kinder des am 20.1.2003 verstorbenen Erblassers A.Sch. aus erster Ehe. Die Klägerin war seine (zweite) Ehefrau.
Durch notariellen Erbvertrag vom 4.3.1983 hatten der Erblasser und die Klägerin die Beklagten als Erben je zur Hälfte eingesetzt und der Klägerin u.a. einen Nießbrauch an einem Teil des Wohnhauses ..., ... - der ehelichen Wohnung - eingeräumt; die Beklagte zu 1) erhielt das Recht, das Haus gegen Auszahlung der Beklagten zu 2) zu veräußern. Die Mieteinnahmen sollten den Beklagten zustehen, die davon die Erhaltungs- und Unterhaltungskosten des Hauses tragen sollte.
Durch notariellen Erbvertrag vom 25.6.1991 änderten der Erblasser und die Klägerin den Vertrag dahin, dass die Klägerin ein lebenslängliches, unentgeltliches "sicherungsfreies Nießbrauchsrecht" sowie die Nutzungen erhalten und die Pflicht zur Unterhaltung des Hauses tragen sollte. Am 27.12.2002 räumte der Erblasser darüber hinaus der Klägerin eine notarielle Vollmacht zur Wahrnehmung seiner Angelegenheiten ein, welche auch über seinen Tod hinaus nicht erlöschen sollte.
Nach dem Tod des Erblassers teilte das AG - Nachlassgericht - Rockenhausen im Februar 2003 den Parteien den Inhalt der beiden Erbverträge mit. Daraufhin kam es zwischen ihnen zum Streit.
Die Beklagte zu 2) schlug durch notarielle Erklärung vom 18.7.2003 die Erbschaft aus und focht hilfsweise deren Annahme an. Die Klägerin begehrt die Bewilligung der Eintragung eines Nießbrauchsrechts an dem Grundstück ..., .... Sie hat ferner im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung des vorgenannten Nießbrauchsrechts begehrt. Die Beklagten sind durch Urteil des Senats vom 17.3.2004 (OLG Hamm v. 3.6.2005 - 4 U 6/05, OLGReport Hamm 2005, 445) verurteilt worden, die begehrte Vormerkung zu bewilligen.
Durch das angefochtene Urteil hat die Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des LG Kaiserslautern die Beklagten nach Beweisaufnahme verurteilt, die Eintragung des begehrten Nießbrauchsrechts zu bewilligen.
Mit ihren Berufungen bekämpfen beide Beklagten das Urteil in vollem Umfang. Sie rügen die Rechtsauffassung der Einzelrichterin sowie dass diese ihren Sachvortrag teilweise übergangen haben.
Sie beantragen, das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung unter Vertiefung ihres dortigen Vorbringens.
Auf die gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Urkunden sowie das angefochtene Urteil wird zur Ergänzung des Tatbestands Bezug genommen.
II. Die Berufungen sind zulässig. Die Berufung der Beklagten zu 2) führt zum Erfolg, wohingegen das Rechtsmittel der Beklagten zu 1) unbegründet ist.
A. Berufung der Beklagten zu 2):
Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 2) aus dem zwischen ihr und dem Erblasser am 25.6.1991 geschlossenen notariellen Erbvertrag keinen Anspruch auf Einräumung eines Nießbrauchsrechts, weil die Beklagte zu 2) die Erbschaft rechtzeitig ausgeschlagen hat (§§ 1944 Abs. 1, 2306 Abs. 2 2. Hs BGB).
Nach § 1944 Abs. 1 BGB beträgt die Frist für die Ausschlagung einer Erbsch...