Entscheidungsstichwort (Thema)

Nutzungsuntersagung für private Pferdehaltung im Bereich eines allgemeinen Wohngebiets iSd. §§ 3 oder 4 BauNVO 1990

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die sich aus dem Nichtvorliegen einer im Einzelfall notwendigen Baugenehmigung für die Benutzung einer baulichen Anlage ergebende formelle Illegalität (Genehmigungsbedürftigkeit) einer Nutzung rechtfertigt regelmäßig bereits deren Untersagung auf der Grundlage des § 82 Abs. 2 LBO 2004.

2. Stellt die Bauaufsichtsbehörde in der Begründung für die gemäß § 82 Abs. 2 LBO 2004 in ihr Ermessen gestellte Nutzungsuntersagung ausschließlich materiell rechtliche Gesichtspunkte einer fehlenden Genehmigungsfähigkeit der Nutzung als tragend für ihr Einschreiten heraus, so wirft die Rechtmäßigkeitsprüfung im gerichtlichen Anfechtungsstreit die Frage der materiellen Illegalität der Nutzung auf.

3. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens in derartigen Fällen nicht abschließend prognostizierbar, so ist regelmäßig nach Maßgabe der Wertungsvorgabe in § 80 Abs. 1 VwGO dem Aussetzungsbegehren des Adressaten einer sofort vollziehbaren Nutzungsuntersagung zu entsprechen und die aufschiebende Wirkung wieder herzustellen.

4. Auf die bloße Möglichkeit einer Änderung der Begründung der Ermessenentscheidung durch die Widerspruchsbehörde in einem noch anhängigen Widerspruchsverfahren kommt es auch für die prognostische Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Aussetzungsverfahren nicht an.

5. Das Halten von Großtieren in einer von der Umgebungsbebauung her einem allgemeinen Wohngebiet im Verständnis der §§ 3 oder 4 BauNVO 1990 entsprechenden Umgebungsbebauung der nicht qualifiziert beplanten Ortslage (§ 34 Abs. 2 BauGB) ist mit dem Gebietscharakter nicht vereinbar und daher unzulässig.

6. Für eine im Einzelfall erforderliche weitere Sachverhaltsermittlung speziell durch eine Ortseinsicht ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich kein Raum.

 

Normenkette

VwGO § 80 Abs. 1, 5 S. 1, § 146 Abs. 4 S. 6; LBO 2004 § 58 Abs. 1, § 59 Abs. 1, § 82 Abs. 2; BauNVO 1990 §§ 3-5; BauNVO § 15; BauGB § 34 Abs. 1-2

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 30.10.2008 – 5 L 804/08 – abgeändert und die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die unter dem 20.6.2008 für sofort vollziehbar erklärte Nutzungsuntersagung im Bescheid des Antragsgegners vom 15.5.2008 wieder hergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.800,- EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Antragsteller wenden sich gegen ein mit Sofortvollzugsanordnung versehenes Verbot des Antragsgegners einer Pferdehaltung auf ihrem Grundstück Parzelle Nr. …/1 in Flur 9 der Gemarkung B… in einem älteren, hinter dem straßennah errichteten Wohnhaus (Anwesen A…-Straße) befindlichen Gebäude. Das Grundstück liegt in Ortslage und nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans.

Im Anschluss an eine durch Nachbarbeschwerden veranlasste Baukontrolle im September 2006 forderte der Antragsgegner die Antragsteller wiederholt, zuletzt im Januar 2007 förmlich, zur Einreichung eines Bau- und Befreiungsantrags für dieses und zwei weitere im rückwärtigen Grundstücksbereich festgestellte Gebäude auf. Ein Widerspruch der Antragsteller, die unter anderem eine Errichtung des beim Kauf des Grundstücks durch sie vorhandenen und von ihnen lediglich instand gesetzten “Stalls” bereits im Jahre 1937 geltend gemacht hatten, wurde im November 2007 unter Verweis auf die Genehmigungsbedürftigkeit der Anlagen zurückgewiesen. (vgl. den Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses vom 27.11.2007 – KRA 6484-42/07 –)

Im April 2008 reichten die Antragsteller einen Bauantrag für die drei Gebäude ein. In den Plänen wurde das hier streitgegenständliche 5 m × 6,28 m große Gebäude als “Schuppen” bezeichnet und hinsichtlich der beabsichtigten Nutzung “Zimmer” angegeben.

Mit Bescheid vom 15.5.2008 untersagte der Antragsgegner den Antragstellern die Nutzung dieses Gebäudes als Pferdestall binnen eines Monats und drohte ihnen für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld von je 500,- EUR an. Zur Begründung ist ausgeführt, die Antragsteller seien bereits in einem früheren Verfahren auf die “voraussichtliche” Unzulässigkeit der Pferdehaltung auf dem Grundstück hingewiesen worden. Dennoch werde das Gebäude, wie eine Baukontrolle vom 13.5.2008 ergeben habe, weiterhin entsprechend genutzt. Die nähere Umgebung sei unzweifelhaft als allgemeines Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO einzustufen Hier sei eine Pferdehaltung grundsätzlich unzulässig und daher “erst gar nicht genehmigungsfähig”. Aus diesem Grund habe die Kreisstadt St. Wendel zu einer entsprechenden Bauvoranfrage der Voreigentümerin das Einvernehmen versagt. Auch das Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz habe wegen Belästigungen für Anwohner erhebliche Bedenken geäußert.

Mit Eingang am 9.6.2008 erhoben die Antragsteller Widerspruch und “erweiterten” den eingereichten Bauantrag dahingehend, ...

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