Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachbarschutz im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Der von einem sich gegen ein im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 64 LBO 2004 bauaufsichtsbehördlich zugelassenes Bauvorhaben, hier ein Mehrfamilienhaus, wendenden Nachbarn im gerichtlichen Verfahren allein gestellter Anfechtungsantrag auf Aufhebung der Baugenehmigung ist auch mit Blick auf den inzwischen weitgehend auf die präventive Prüfung der Einhaltung bauplanungsrechtlicher Anforderungen beschränkten Programms des § 64 Abs. 2 LBO 2004 nicht ohne weiteres in ein die Möglichkeit zu weitergehender rechtlicher Prüfung insbesondere in bauordnungsrechtlicher Hinsicht eröffnenden Verpflichtungsantrag auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten „umzudeuten”.
2. Dies gilt erst recht, wenn der Nachbar eine Verletzung nachbarschützender Bestimmungen des Bauordnungsrechts – hier über die einzuhaltenden Abstandsflächen (§§ 7, 8 LBO 2004) – aufgrund einer von den in vereinfachten Baugenehmigungsverfahren eingereichten Bauvorlagen (Planzeichnungen) abweichenden Ausführung des Vorhabens geltend macht.
3. Die Untere Bauaufsichtsbehörde ist nicht berechtigt, sich im Falle von Nachbareinwendungen gegen ein in der Ausführung begriffenes Bauvorhaben auf das eingeschränkte Programm des § 64 Abs. 2 LBO 2004 für die präventive Prüfung im vereinfachten Genehmigungsverfahren zurückzuziehen, sondern hat auf begründete Einwände des Nachbarn hin entsprechend ihrer gesetzlichen Aufgabenbeschreibung in § 57 Abs. 2 LBO 2004 auch der Frage der Einhaltung sonstiger nachbarschützender und bei der Ausführung von Vorhaben nach § 60 Abs. 2 LBO 2004 unabhängig von verfahrensrechtlichen Vorgaben uneingeschränkt zu beachtender materiellrechtlicher Bestimmungen des öffentlichen Baurechts, also insbesondere der Abstandsflächenvorschriften (§§ 7, 8 LBO 2004), nachzugehen.
4. Allein der Umstand, dass die Feststellung der Rücksichtslosigkeit eines Bauwerks gegenüber einem Nachbarn in aller Regel die Verschaffung eines Eindrucks von den örtlichen Gegebenheiten voraussetzt und daher auch von einem Rechtsmittelgericht bis auf Ausnahmefälle nicht abschließend nur auf Grund der Aktenlage beurteilt werden kann, rechtfertigt weder die Annahme, das auf einer Ortsbesichtigung beruhende Ergebnis der Beurteilung des Verwaltungsgerichts unterläge ernstlichen Zweifeln hinsichtlich seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), noch eine Bejahung „besonderer” Schwierigkeit im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.
Normenkette
LBO 2004 §§ 7-8, 64 Abs. 2, § 57 Abs. 2, § 60 Abs. 2; VwGO § 124 Abs. 2 Nrn. 1-2
Verfahrensgang
VG des Saarlandes (Urteil vom 28.02.2007; Aktenzeichen 5 K 37/06) |
Tenor
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 28. Februar 2007 – 5 K 37/06 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen die Kläger.
Der Streitwert wird für das Berufungszulassungsverfahren sowie unter entsprechender Abänderung der im Urteil des Verwaltungsgerichts enthaltenen Festsetzung auch für das Verfahren in erster Instanz auf jeweils 15.000,– EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Kläger sind Eigentümer der mit einem älteren Wohngebäude bebauten Parzelle Nr. 131/5 in Flur 22 der Gemarkung A-Stadt (Anwesen C-Straße). Durch Bauschein vom 3.12.2001 erteilte die Beklagte der Beigeladenen eine Bauerlaubnis für „Umbau und Erweiterung des Wohnhauses” auf den südöstlich anschließenden Parzellen Nr. 898/121 und Nr. 897/121 (inzwischen vereinigt zu Nr. 121/3). Bei diesem Gebäude handelt es sich um ein zweigeschossiges Mehrfamilienhaus mit ausgebautem Dachgeschoss. Nach den genehmigten Bauvorlagen sollte die Höhe des Gebäudes im Wesentlichen beibehalten werden und die Anzahl der Öffnungen in der dem Grundstück der Kläger zugekehrten Giebelwand nicht verändert werden.
Auf einen als „Tektur” bezeichneten Antrag wurde der Beigeladenen mit Bauschein vom 16.2.2005 im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 64 LBO 2004 erneut eine Baugenehmigung für „Umbau und Erweiterung des Wohnhauses” erteilt. Die zugehörigen Pläne sehen unter anderem eine von der ursprünglichen Genehmigung abweichende Gestaltung der Öffnungen in der dem Anwesen der Kläger zugekehrten Giebelwand, eine Verlagerung der geplanten Balkone zur Hausrückseite sowie eine nicht unwesentliche Änderung hinsichtlich der Dachaufbauten an der Vorder- und der Rückseite des Gebäudes, insoweit unter Erhöhung der Außenwand, vor.
Mit Eingang am 16.5.2005 wandten sich die Kläger unter Verweis auf durch einen Bestandsschutz nicht gedeckte Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück und die Nichteinhaltung von Abstandsvorschriften zu ihren Lasten an die Beklagte und legten Widerspruch gegen eine „gegebenenfalls erteilte Baugenehmigung” ein. Gleichzeitig beantragten sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs. Zur Begründung verwiesen sie auf die Vergrößerung vorhandener beziehungs...