Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrerlaubnis. Neuerteilung. Eignung. Medizinisch-psychologische Begutachtung
Leitsatz (amtlich)
Für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis begründet allein ihre Entziehung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort bei der gebotenen Gesamtschau keine Eignungszweifel, die die Durchführung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung rechtfertigen.
Normenkette
FeV § 20 Abs. 3, 2, 1, § 11 Abs. 3 S. 1 Nrn. 5, 4, §§ 13, 16 Abs. 1, § 17 Abs. 1
Verfahrensgang
VG des Saarlandes (Beschluss vom 23.05.2006; Aktenzeichen 3 F 24/06) |
Tenor
Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 23. Mai 2006 – 3 F 24/06 – wird der Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig die Fahrerlaubnis der Fahrerlaubnisklassen BE, L, M, S zu erteilen.
Die Kosten des Verfahrens fallen dem Antragsgegner zur Last.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde gegen den im Tenor genannten Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes, mit dem der Antrag der Antragstellerin auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Neuerteilung der Fahrerlaubnis zurückgewiesen wurde, ist begründet.
Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch gemäß § 123 Abs. 1 VwGO glaubhaft gemacht. Die tenorierte Regelungsanordnung ist zum Abwenden wesentlicher Nachteile, die der Antragstellerin drohen, notwendig.
Die Antragstellerin hat glaubhaft vorgetragen und der Antragsgegner ist dem nicht entgegengetreten, dass sie werktäglich für den Hin- und Rückweg zur Arbeit mit Bus und Bahn insgesamt 3 3/4 Stunden aufwenden muss. Dieser andauernde außergewöhnlich hohe Zeitaufwand infolge der verweigerten Neuerteilung der Fahrerlaubnis rechtfertigt es, die Antragstellerin, an deren gegenwärtiger Fahreignung nach den Erkenntnismöglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine begründeten Zweifel bestehen, auch unter Berücksichtigung der berechtigten öffentlichen Interessen an der Sicherheit des Straßenverkehrs nicht auf den rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu verweisen
vgl. zum funktionalen Zusammenhang zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch BVerfG, Beschluss vom 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 –, BVerfGE 79, 69; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Oktober 2005, § 123 Rz. 82 ff., und Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Rz. 202 ff.; speziell zur vorläufigen Wiedererteilung der Fahrerlaubnis Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. 2005, FeV § 20 Rz. 4, S. 1351; Kirchner, Die neue Fahrerlaubnisverordnung, 1. Aufl. 2002, § 20 Rz. 25, und Finkelnburg/Jank, a.a.O., Rz. 1286 ff..
Die von der Antragstellerin begehrte Neuerteilung ihrer am 28.4.2005 durch Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt vorläufig und durch rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Homburg vom 14.11.2005 unter Anordnung einer Sperrfrist von drei Monaten endgültig entzogenen Fahrerlaubnis vom 25.3.1986 scheitert entgegen der Meinung des Antragsgegners mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht daran, dass die Antragstellerin sich der behördlicherseits geforderten medizinisch-psychologischen Begutachtung nicht unterzogen hat. Der Antragsgegner ist nämlich mit großer Sicherheit nicht berechtigt, die Erteilung der Fahrerlaubnis an die Antragstellerin von dem Beibringen eines medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig zu machen.
Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung gelten die Vorschriften für die Ersterteilung (§ 20 Abs. 1 FeV). Die Vorlage eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) kann – soweit im gegebenen Fall relevant – zur Klärung von Eignungszweifeln bei der Neuerteilung der Fahrerlaubnis angeordnet werden, wenn a) die Fahrerlaubnis wiederholt entzogen war oder b) der Entzug der Fahrerlaubnis auf erheblichen oder wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder auf Straftaten beruhte, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung standen oder bei denen Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential bestanden (§§ 20 Abs. 3, 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 i. V. m. Nr. 4 FeV). Dass danach im Falle der Antragstellerin die Gutachtensanforderung rechtmäßig war, liegt fern.
Der Antragstellerin wurde mit Strafbefehl vom 14.11.2005 die Fahrerlaubnis wegen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) entzogen. Sie hatte am Nachmittag des 28.2.2005 in Bexbach einen Autounfall mit einem Fremdschaden von ca. 2.000,– EUR – so der Strafbefehl – bzw. 1.642,34 EUR – so der Vortrag der Antragstellerin – verursacht. Damit beruhte die Entziehung der Fahrerlaubnis auf einer Straftat im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr.
Dies allein begründet jedoch nach dem Dafürhalten des Senats jedenfalls inzwischen keine Zweifel an der Kraftfahreignun...