Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausnahmen vom Vertretungszwang des § 67 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VwGO
Leitsatz (amtlich)
Der Rechtsprechung zu § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO, wonach die Voraussetzungen der dort geregelten Ausnahme vom Vertretungszwang des § 67 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 VwGO auch erfüllt sind, wenn der nicht der beteiligten Behörde angehörende Prozessvertreter die gleiche Sachnähe zu den streitigen Rechtsfragen hat, wurde durch das Gesetz vom 20.12.2001 zur Bereinigung des Rechtsmittelsrechts im Verwaltungsprozess, durch welches zugunsten von Gebietskörperschaften eine besondere Ausnahmeregelung getroffen wurde, nicht die Grundlage entzogen.
Normenkette
VwGO § 67 Abs. 1 Sätze 3, 1-2
Verfahrensgang
VG des Saarlandes (Urteil vom 12.10.2006; Aktenzeichen 1 K 241/04) |
Tenor
Auf den Antrag der Beklagten wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 12. Oktober 2006 – 1 K 241/04 – zugelassen.
Die Entscheidung über die Kosten des Zulassungsverfahrens folgt derjenigen im Berufungsverfahren.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird zwecks Anforderung eines Gerichtskostenvorschusses vorläufig auf 10.000,– Euro festgesetzt (§§ 6 Abs. 1 Nr. 4, 63 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2 GKG).
Tatbestand
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das den Beklagten zu 1. und 2. jeweils am 17.11.2006 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts ist zulässig.
Der Zulassungsantrag ist am 14.12.2006 – und damit fristgerecht – bei dem Verwaltungsgericht eingegangen und genügt auch mit Blick auf die Regelungen des § 67 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 VwGO, die den Antrag auf Zulassung der Berufung grundsätzlich dem Vertretungszwang des § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterwerfen, den Anforderungen, da die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Auslegung der Ausnahmevorschrift des Satzes 3 der genannten Vorschrift erfüllt sind.
Der Zulassungsantrag ist von dem über die Befähigung zum Richteramt verfügenden Bediensteten des Beklagten zu 2. unterzeichnet, der in erster Instanz aufgrund der dem Ministerium für Umwelt, also dem Beklagten zu 2., für den Verwaltungsrechtsstreit erteilten Vollmacht vom 21.12.2004 (auch) für die Beklagte zu 1. aufgetreten ist. Nach der gefestigten und überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 16.7.1998 – 7 C 36/97, BVerwGE 107, 156, 158, und vom 28.6.1995 – 11 C 25/94 –, Buchholz 436.36, § 15 BAföG Nr. 42) und verschiedener Obergerichte (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 14.7.2000 – 7 M 2005/99 –; BayVGH, Beschluss vom 1.4.1998 – 3 CE 97.2597 –; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 22.9.1997 – 2 L 84/97 –; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15.4.1997 – 12 B 10557/97 –, OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.4.1997 – 12 B 595/97 –, alle veröffentlicht bei Juris) zu dem Behördenprivileg des § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO, der durch das Gesetz vom 20.12.2001 zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess – entgegen mancher Stimmen in der Kommentarliteratur (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2005, § 67 Rdnr. 11; Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 67 Rdnr. 90) – nicht die Grundlage entzogen wurde, ist es der Beklagten zu 1. unbenommen, sich vor dem Oberverwaltungsgericht durch einen über die Befähigung zum Richteramt verfügenden Bediensteten ihrer Aufsichtsbehörde, des Beklagten zu 2., vertreten zu lassen.
Ausgangspunkt der in Bezug genommenen Rechtsprechung ist, dass Behördenvertreter im Sinne des § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO grundsätzlich nur Bedienstete der am Verfahren beteiligten Behörden sein können, weil bei deren Bediensteten angenommen werden kann, dass diese in aller Regel bereits im Vorfeld mit der vor dem Rechtsmittelgericht zu verhandelnden Sache befasst waren und folglich mit ihr vertraut sind. Die dadurch vorhandene Sachnähe zum anhängigen Verfahren rechtfertigt im Interesse einer effektiven Prozessvertretung die Abweichung von dem in § 67 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO vorgesehenen Vertretungszwang. (BVerwG, Beschluss vom 10.8.1994 – 4 B 89.94 –, Buchholz 310, § 67 VwGO Nr. 83; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15.4.1997, a.a.O.) Ausnahmen von der Notwendigkeit der Zugehörigkeit zu der am Verfahren beteiligten Behörde wurden von der – ausnahmslos vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 20.12.2001 ergangenen – Rechtsprechung unter der Voraussetzung anerkannt, dass der nicht der beteiligten Behörde angehörende Prozessvertreter die gleiche Sachnähe zu den streitigen Rechtsfragen hat. Die erforderliche Sachnähe wurde dabei im Bereich der Auftragsverwaltung sowohl im Verhältnis zwischen den Bediensteten von Fachbehörden derselben Stufe mit demselben sachlichen Aufgabenkreis wie auch im Verhältnis zwischen den Bediensteten der entscheidungszuständigen Fachbehörde und denjenigen der Aufsichtsbehörde bejaht. (vgl. Zitate unter Fußnoten 2 und 3) Maßgeblich für die Vertretungsbefugnis ist hiernach, ob der mit der Vertretung betraute Bedienstete einer anderen Behörde nach Lage des Falles die gleiche Sachnähe zu den Fragen hat, d...