Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme von wegen Verstoßes gegen das Verbot von Doppelehen rechtswidrig erteilten Aufenthaltstiteln
Leitsatz (amtlich)
1. Wie der an die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Terminologie anknüpfende § 51 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG verdeutlicht, geht der Gesetzgeber davon aus, dass auch rechtswidrig erteilte bestandskräftige Aufenthaltstitel von der zuständigen Behörde aufgehoben werden können. Da die in Betracht kommende Rücknahme, anders als der Widerruf rechtmäßig erteilter Titel (vgl. dazu § 52 AufenthG), im Aufenthaltsrecht keiner speziellen Regelung unterworfen wurde, ist insoweit auf die allgemeine Vorschrift in § 48 SVwVfG zurückzugreifen.
2. Aufenthaltstitel, die dem Ausländer mit Blick auf eine von ihm unter Verstoß gegen das familienrechtliche Verbot der Doppelehe und die diesbezügliche Strafvorschrift (§§ 1306 BGB, 172 StGB) geschlossene Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen erteilt werden, können nicht bereits mit Blick auf § 44 Abs. 2 Nr. 6 SVwVfG wegen Verstoßes gegen die guten Sitten als nichtig angesehen werden, sind aber am Maßstab der einschlägigen ausländerrechtlichen Vorschriften (hier: § 2 Abs. 1 AuslG 1965) als rechtswidrig zu qualifizieren.
3. Der ausländerrechtlichen “Verwertbarkeit” dieses Umstands steht nicht entgegen, dass nach dem bis 1998 geltenden § 23 EheG, wonach sich niemand auf die Nichtigkeit der Ehe berufen konnte, bis diese durch Urteil des zuständigen Familiengerichts für nichtig erklärt worden war, die Nichtigkeit einer verbotswidrig vor dem deutschen Standesamt geschlossenen Doppelehe nur als rückwirkende Vernichtbarkeit ausgestaltet war und dass nach gegenwärtigem Recht die nach § 1306 BGB verbotene bigamische Ehe oder Doppelehe sogar nur noch einer Aufhebbarkeit (§ 1314 Abs. 1 BGB) durch gerichtliches Urteil mit Wirkung für die Zukunft (§ 1313 Satz 2 BGB) unterliegt.
4. Die ausländerrechtlichen Vorschriften über den Familiennachzug (§§ 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965, heute § 27 Abs. 1 AufenthG) knüpfen vielmehr materiell an den Schutzbereich des Art. 6 GG, so dass in der ausländerbehördlichen Verweigerung der auf das Institut der Ehe gründenden Möglichkeiten eines Familiennachzugs beziehungsweise eines aus der Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen abgeleiteten Bleiberechts durch die Ausländerbehörde bei Schein- und Doppelehen kein Verstoß gegen die familienrechtlichen Folgenregelungen in den §§ 23 EheG, 1314 Abs. 1 BGB zu erblicken ist.
5. Aufenthaltsrechtlicher Nachzug soll nur in dem durch Art. 6 Abs. 1 GG gebotenen Umfang erfolgen und damit grundsätzlich auch begrenzt werden. Zu dem begünstigten Personenkreis zählt der doppelt verheiratete Ausländer nicht. Der verfassungsrechtliche Begriff der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG und die dadurch ausgefüllte, im genannten Sinne in allen bisherigen Gesetzesfassungen ausländerrechtlich beachtliche grundrechtliche Schutzgarantie (heute § 27 Abs. 1 AufenthG) basieren auf dem Prinzip der Einehe.
6. Über die am Grundsatz der Rechtssicherheit orientierte Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 SVwVfG für die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte hinaus lassen sich weder dem einfachen Gesetz noch verfassungsrechtlichen Anforderungen weiter gehende, auf den Erteilungszeitpunkt bezogene Fristen für die Rücknahme rechtswidriger, insbesondere durch falsche Angaben des Ausländers gegenüber den deutschen Behörden erwirkter Aufenthaltstitel entnehmen. Die seit 2009 im Gefolge der Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Staatsangehörigkeitsrecht normierte absolute zeitliche Grenze von fünf Jahren ab Bekanntgabe für die Rücknahme von durch arglistige Täuschung, Drohung, Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkte rechtswidrige Einbürgerungen (§ 35 Abs. 3 StAG n.F.) ist vor dem Hintergrund der besonderen statusrechtlichen Auswirkungen der Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit auch für Dritte und des verfassungsrechtlichen Verbots einer Entziehung in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG zu sehen. Ein vergleichbarer normativer Wert ist für aufenthaltsrechtliche Titel, die einem Ausländer die Berechtigung zum – gegebenenfalls auch unbefristeten – Aufenthalt vermitteln, in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht verankert.
7. Bei einer Rücknahme bereits unanfechtbar gewordener Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG hat die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensausübung zu prüfen, ob es aufgrund besonderer Umstände erforderlich erscheint, von der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzes zugunsten der Bestandskraft und damit der Rechtssicherheit ausnahmsweise abzuweichen. Dabei sind neben den in Rede stehenden öffentlichen Interessen sowie der Art und Intensität des mit der Rücknahme zu korrigierenden Rechtsverstoßes auch die Auswirkungen für den Betroffenen in den Blick zu nehmen und nach ihrer Bedeutung angemessen zu berücksichtigen.
8. Einschränkungen ergeben sich dabei für den Fall einer Rücknahme ausländerrechtlicher Aufenthaltstitel auch m...