Entscheidungsstichwort (Thema)
dienstliche Beurteilung. Verwendung im Entlassungsverfahren. Verfahrensfehler. Schwerbehinderte. Vorgespräch. Recht der Richter
Leitsatz (amtlich)
1. Zur gerichtlichen Überprüfung der dienstlichen Beurteilung einer schwerbehinderten Richterin.
2. Ein Beurteilungsvorgespräch ist auch dann erforderlich, wenn die Schwerbehinderte mögliche Leistungseinschränkungen nicht von sich aus mitgeteilt hat.
Normenkette
SGB IX § 84 Abs. 1, § 93; LBG § 87; VwVfG M-V § 45 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
VG Schwerin (Beschluss vom 25.06.2003; Aktenzeichen 1 B 290/03) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin – 1. Kammer – vom 25.06.2003 wird zurückgewiesen.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin – 1. Kammer – vom 25.06.2003 teilweise geändert. Dem Antragsgegner wird untersagt, bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über den Widerspruch der Antragstellerin gegen die dienstliche Beurteilung des Präsidenten des Landgerichts … vom 11.11.2002 nebst Überbeurteilung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Rostock vom 02.01.2003 diese Beurteilungen sowie den Beurteilungsvorschlag des Vizepräsidenten des Landgerichts … vom 11.11.2002 und den Beurteilungsbeitrag des Vorsitzenden der Zivilkammer des Landgerichts … vom 20.09.2002 im Entlassungsverfahren nach § 22 Abs. 1 des Deutschen Richtergesetzes zu verwenden.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.000,– EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Verwendung einer dienstlichen Beurteilung im Entlassungsverfahren.
Die 1968 geborene Antragstellerin ist schwerbehindert mit einem Behinderungsgrad von 100 %. Ihr bis Dezember 2005 gültiger Schwerbehindertenausweis enthält das Merkzeichen „G” für „Gehbehindert”. Am 02.04.2002 wurde sie zur Richterin unter Berufung in das Richterverhältnis auf Probe ernannt. Ab dem 09.04.2002 war sie der Zivilkammer des Landgerichts … als Beisitzerin zugewiesen.
Unter dem 20.09.2002 fertigte der Vorsitzende der Zivilkammer, Vorsitzender Richter am Landgericht S., einen Beurteilungsbeitrag für den Zeitraum 10.04.2002 bis 20.09.2002. Darin heißt es unter „zusätzliche Anmerkungen” auszugsweise:
„Frau … ist schwerbehindert. Gelegentlich verweist Frau … auf gesundheitliche Beeinträchtigungen und die Notwendigkeit von Arztbesuchen und Therapien, denen sie sich unterziehen muss. Auch erfolgten wiederholt Hinweise zu der von ihr gesehenen Gefahr, krankgeschrieben zu werden. Tatsächlich krankgeschrieben war Frau … in der 31. und 32. KW, unmittelbar nach ihrem einwöchigen Urlaub in der 30. KW. Ich gehe davon aus, dass Frau … gesundheitsbedingt nicht unerheblichen persönlichen Belastungen ausgesetzt ist, ohne dass ich hierzu Näheres weiß. Frau … ist indes zu 1/1 in der Kammer eingesetzt, so dass ich bei der Beurteilung von ihrer vollen Leistungsfähigkeit auszugehen hatte und in der täglichen Zusammenarbeit auch ausgehe.
Ceteris paribus halte ich derzeit Frau … für einen langfristigen Einsatz in einer allgemeinen Zivilkammer jedoch nur mit Einschränkung geeignet.”
Unter dem 11.11.2002 fertigte der Vizepräsident des Landgerichts … einen „Beurteilungsvorschlag” für die Antragstellerin, der zu dem Gesamtergebnis gelangte, dass die Antragstellerin derzeit als Richterin „nicht geeignet” sei. Der Präsident des Landgerichts … beurteilte die Antragstellerin am gleichen Tage für den Beurteilungszeitraum 02.04.02 bis 31.10.2002 mit dem Gesamtergebnis „nicht geeignet”. Darin heißt es auszugsweise:
„Die Erledigungen der Menge nach – 0,54 Pensen – kommen deutlich nicht an die Leistungen anderer Richter, auch anderer Richter auf Probe, hier im Landgericht … heran, ohne dass ich dies auf Besonderheiten des Dezernats zurückführen kann. Ich habe daher Zweifel, ob die Richterin anforderungsgerechte Leistungen erbringen kann, zumal sie keine Leistungseinschränkungen aufgrund ihrer Schwerbeschädigung mitgeteilt hat.”
Die dienstliche Beurteilung nebst Beurteilungsvorschlag und Beurteilungsbeitrag wurde der Antragstellerin am 11.11.2002 eröffnet. Ein weiteres Beurteilungsvorgespräch hat nicht stattgefunden. Eine Schwerbehindertenvertretung existiert bei dem Landgericht … nicht. Der Richterrat wurde nicht vorher beteiligt.
Unter dem 02.01.2003 teilte der Präsident des Oberlandesgerichts Rostock der Antragstellerin mit, dass er der dienstlichen Beurteilung nicht entgegentrete. Unter dem 11.01.2003 teilte die Antragstellerin dem Präsidenten des Oberlandesgerichts mit, dass sie die Beurteilung des Präsidenten des Landgerichts vom 11.11.2002 nicht akzeptiere, deren Aufhebung, Entfernung aus den Personalakten und eine Neubeurteilung beantrage. Hilfsweise legte sie gegen die Beurteilung nebst Überbeurteilung Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, die Beurteilung beruhe sowohl in den einzelnen Beurteilungsmerkmalen als auch in der Gesamtbe...