Leitsatz
Die Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und 13 Teil B Buchst. b der 6. EG-Richtlinie sind so auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, wonach die Verwendung eines Teils eines insgesamt dem Unternehmen zugeordneten Teils eines insgesamt dem Unternehmen zugeordneten Betriebsgebäudes für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen als eine - als Vermietung oder Verpachtung eines Grundstücks i.S. des Art. 13 Teil B Buchst. b - steuerfreie Dienstleistung behandelt wird. Der BFH legte die Sache im Revisionsverfahren dem EuGH vor.
Problematik
Der Unternehmer S errichtete 1995 ein Gebäude, das er insgesamt seinem Unternehmen zuordnete und dann zum Teil unternehmerisch und zum Teil für eigene Wohnzwecke nutzte. Er machte die gesamten Vorsteuerbeträge auf die Herstellungskosten geltend und erklärte hinsichtlich der eigenen Wohnung einen steuerpflichtigen Eigenverbrauch (jetzt: unentgeltliche sonstige Leistung). Finanzamt und Finanzgericht nahmen entsprechend der ständigen Praxis einen gem. § 4 Nr. 12 UStG steuerfreien Eigenverbrauch an, der von vorneherein gem. § 15 Abs. 2 UStG zum anteiligen Vorsteuerausschluss führte.
Konsequenzen für die Praxis
Das EuGH-Urteil führt zu einer einschneidenden Änderung der deutschen Praxis. Ein Unternehmer kann (schon nach bisheriger Praxis) ein Gebäude, das er sowohl zu nicht weniger als 10 % (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG) für unternehmerische Zwecke als auch für private Zwecke nutzt, insgesamt seinem Unternehmen zuordnen. Diese volle Zuordnung ist zu empfehlen. Ordnet er nur einen (prozentualen, nicht räumlichen) Anteil dem Unternehmen zu, bleibt der übrige Teil im Privatbereich. Eine spätere Einlage ins Unternehmen ermöglicht keinen Vorsteuerabzug. Soweit Einfamilienhäuser mit einem sog. Arbeitszimmer (mit mehr als 10 % Nutzungsanteil) für unternehmerische Zusatz- oder Nebentätigkeiten insgesamt dem Unternehmen zugeordnet werden, hat der BFH in einer EuGH-Vorlage die gemeinschaftsrechtliche Prüfung der Gestaltung angeregt. Sie entspricht aber deutscher Praxis.
Ordnet der Unternehmer das ganze Gebäude dem Unternehmen zu, fällt nach der Rechtsprechung des EuGH nunmehr für die Nutzung des privaten Teils Umsatzsteuer an, die nach § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG nach den Kosten (im wesentl. die AfA) zu berechnen ist. Aufgrund der Steuerpflicht der privaten Verwendung hat der Unternehmer den gesamten Vorsteuerabzug. Veräußert/entnimmt der Unternehmer später während des Berichtigungszeitraums von 10 Jahren gem. § 15a UStG das Gebäude (steuerfrei), ist wegen geänderter Verwendungsverhältnisse eine Vorsteuerberichtigung vorzunehmen. Nach bisheriger nationaler Rechtslage ist hingegen die private Grundstücksverwendung unter sinngemäßer Anwendung des § 4 Nr. 12a UStG (steuerfreie Vermietungsumsätze) als steuerfrei zu behandeln. Der Verwendungseigenverbrauch ist somit nicht zu besteuern, dafür ist anteilig kein Vorsteuerabzug möglich.
Unternehmer können sich auf die für sie günstigere EuGH-Rechtsprechung berufen. Sie profitieren insbesondere von einem Liquiditäts- und Zinsvorteil: Der Vorsteuerabzug für die private Wohnung kann nun sofort und vollständig vorgenommen werden, während die Privatnutzung später nur anteilig auf die Kalenderjahre verteilt zu versteuern ist.
Noch nicht geklärt ist, ob ein Unternehmer mit steuerfreien Umsätzen (z.B. als Arzt gem. § 4 Nr. 14 UStG) mit der Zuordnung des Gebäudes zum Unternehmen allein aufgrund der (anteiligen) steuerpflichtigen privaten Verwendung das Vorsteuerabzugsrecht (insoweit) erhält. Denn mit den Umsätzen "als Unternehmer" aus seiner Praxis ist er nicht vorsteuerabzugsberechtigt. Er würde nur durch Privatnutzung abzugsberechtigt.
Die Entscheidung erging noch für die Gültigkeitsdauer der Eigenverbrauchsbesteuerung (Eigenverbrauch, bis 1.4.1999), gilt aber auch für die derzeit gültige Regelung (Unentgeltliche sonstige Leistung).
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 08.05.2003, C-269/00, BFH/NV Beilage 2003 S. 157