Prof. Dr. Thomas Pfeiffer
Rn 13
Die Vereinbarung kann nur für ein bestimmtes Rechtsverhältnis getroffen werden. Sie kann sich auf eine bereits entstandene oder eine zukünftige Streitigkeit beziehen. Gesellschaftsvertragliche Gerichtsstandsklauseln bei einer AG beziehen sich deshalb auf aus dem Rechtsverhältnis zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären als solchen entspringende Rechtsstreitigkeiten (EuGH Slg 92, I-1745). Hierfür reicht es aus, wenn sich die Aktionäre durch Zeichnung oder Erwerb von Aktien oder Zwischenscheinen für alle Streitigkeiten mit der Gesellschaft oder deren Organen einer Gerichtsstandsvereinbarung unterwerfen (BGHZ 123, 347). Die Gerichtsstandsvereinbarung gilt auch dann, wenn über die Wirksamkeit des Vertrags samt Gerichtsstandsklausel gestritten wird (EuGH Slg 97, I-3767 Rz 30). Wird die Streitigkeit dem Gegenstand nach erfasst, kommt es auf das konkrete Rechtsschutzziel nicht an. Eine Gerichtsstandsvereinbarung kann sich (und wird sich im Regelfall) auch auf einstweilige Maßnahmen oder Sicherungsmaßnahmen iSd Art 35 beziehen (EuGH C-581/20 = ECLI:EU:C:2021:808 Rz 50). Der persönlichen Reichweite nach gilt die Vereinbarung zwischen den Parteien. Eine Wirkung zugunsten Dritter ist nicht ausgeschlossen, bezieht sich aber nicht ohne Weiteres auf Deliktsansprüche gegen Dritte (EuGH C-436/16).
Rn 14
Für welche Streitigkeiten die Gerichtsstandsvereinbarung gilt, insb inwieweit sie konkurrierende gesetzliche Ansprüche erfasst, ist eine Frage der Auslegung der Vereinbarung nach dem hierfür maßgebenden Recht (Rn 11). Bei deutschem Auslegungsstatut gilt: Im Zweifel, auch ohne darauf hindeutende besondere Formulierung, wollen die Parteien eine umfassende Erledigung ihres Streitverhältnisses, so dass auch etwaige mit der Durchführung des Vertrags in Zusammenhang stehende gesetzliche, va deliktische Ansprüche erfasst werden (Stuttgart OLGR 2009, 717). Dagegen hat der EuGH eine Erstreckung auf konkurrierende kartell-deliktsrechtliche Ansprüche zwar für möglich gehalten, bei einer üblichen Gerichtsstandsklausel für die Fälle des Art 101 AEUV aber verneint (EuGH C-352/13; a.A. Pfeiffer FS Wolfrum, S 2057, 2061 f; anders im Falle von Art 102 AEUV EuGH C-595/17; dazu Pfeiffer LMK 18, 412366; s aber BGH BB 21, 1553 [BGH 10.02.2021 - KZR 66/17] Rz 25: deutliche Anhaltspunkte notwendig). Der gesetzliche Gerichtsstand des Art 7 Nr 2 ist auch bei Kartelldelikten nicht derogationsfest (Mankowski LMK 20, 434668). Voraussetzung ist in allen Fällen, dass es sich um gesetzliche Ansprüche handelt, die im Zusammenhang mit der Anbahnung, Durchführung, Erfüllung oder Beendigung des entsprechenden Vertrags entstanden sind.
Rn 15
Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung begründet die Zuständigkeit des vereinbarten Gerichts und kann die sonst bestehenden Zuständigkeiten ausschließen. Art 25 hat damit Vorrang vor den allgemeinen und besonderen Gerichtsständen der VO (EuGH C-436/16 Rz 39). Ein bestimmter Zusammenhang des Gerichtsstands zum Rechtsstreit oder den Parteien ist nicht erforderlich (EuGH Slg 80, 89; Slg 97, I-3767 Rz 28); die Parteien können zB ein ›neutrales‹ Forum wählen. Die Vereinbarung muss das zuständige Gericht eines Mitgliedstaates oder die (internationale) Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaates bestimmen. Soweit die Parteien die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts festlegen, gilt Art 25 also auch für die örtliche Zuständigkeit; andernfalls bestimmt sich das örtlich zuständige Gericht nach der prozessualen lex fori (EuGH C-222/15 Rz 48). Gilt für die örtliche Zuständigkeit kraft gesetzlicher Regelung eine Zuständigkeitskonzentration (etwa für Mahnverfahren oder im Kartellrecht), so ist es eine Frage der Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung, ob das für den prorogierten Ort zuständige, aber andernorts belegene Gericht zuständig ist. Bei deutschem Gerichtsstandsvereinbarungsstatut ist das in aller Regel zu bejahen (BGH NJW 93, 2752 [BGH 14.07.1993 - X ARZ 461/93]; Pfeiffer IPRax 95, 421, 422; vgl auch EuGH C-30/20 = ECLI:EU:C:2021:604 Rz 36; C-222/15 Rz 48). Ist die Zuständigkeit eines drittstaatlichen Gerichts vereinbart, so muss ein gleichwohl angerufenes mitgliedstaatliches Gericht die Wirkungen der Vereinbarung nach seinem nationalen Prozessrecht prüfen (EuGH Slg 00, I-9337 Rz 19). Art 25 ist also in einem solchen Fall auch auf den Derogationseffekt der Vereinbarung nicht anwendbar.
Rn 16
Eine ausdrückliche Bestimmung ist idR nicht erforderlich; Bestimmbarkeit durch das angerufene Gericht im Wege der Auslegung reicht (EuGH Slg 00, I-9337; C-222/15 Rz 43). Verweist die Klausel auf die Gerichte der Stadt X, in der es mehrere Gerichte gibt, sind die Gerichte des betreffenden Landes gemeint (EuGH C-222/15 Rz 46). Zur Zuständigkeitskonzentration oben Rn 15.
Rn 17
Im Zweifel begründet eine Gerichtsstandsvereinbarung eine ausschließliche Zuständigkeit; allerdings können die Parteien etwas anderes vereinbaren, namentlich eine nur fakultative Wirkung. Auch wenn die Vorschrift dies abw von Art 17 III EuGVÜ nicht meh...