Rn 8
Der Gesetzgeber hat in § 37 II und in den §§ 33, 34 Anhörungsrechte der Parteien und Anhörungspflichten des Gerichts niedergelegt. Er wollte insb durch § 37 II die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs gem Art 103 I GG für die Beteiligten garantieren. Dabei blieb allerdings unberücksichtigt, dass das in Abs 2 genannte Äußerungsrecht nur einen Teil des rechtlichen Gehörs ausmacht. Nach der berühmten Formel des BVerfG zum rechtlichen Gehör garantiert dieses über das Äußerungsrecht der Beteiligten hinaus die Verpflichtung des Gerichts, die jeweiligen Äußerungen ›zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen‹ (BVerfG NJW 19, 2532 [BVerfG 05.06.2019 - 1 BvR 675/19]). Soweit einem Beteiligten nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt wird, besteht nach § 44 die Möglichkeit, Abhilfe durch Fortführung des Verfahrens im Wege der Gehörsrüge zu verlangen.
Rn 9
Träger des Anspruchs auf rechtliches Gehör sind die Beteiligten. Wie allerdings § 7 VI zeigt, können gesetzliche Anhörungsrechte und -pflichten sowie Auskunftsrechte und -pflichte über den Bereich der Beteiligten hinausgehen. Solche Personen werden durch eine Anhörung nicht zu Beteiligten. Soweit Art 103 I GG das rechtliche Gehör ›jedermann‹ gewährt, bedeutet dies nicht, dass dadurch der Kreis der Beteiligten erweitert würde.
Rn 10
Die Gewährung rechtlichen Gehörs erfolgt in vier Schritten. Das rechtliche Gehör gewährt den Beteiligten ein Recht auf Orientierung und ein Recht auf Äußerung, es enthält ferner die Pflicht des Gerichts zur Kenntnisnahme und schließlich die Pflicht des Gerichts, die Äußerungen der Beteiligten in Erwägung zu ziehen.
Rn 11
Das Recht der Beteiligten auf Orientierung bedeutet, dass sie vom Verfahren zu benachrichtigen sind (§ 7 IV). Darüber hinaus sind die Äußerungen anderer Verfahrensbeteiligter mitzuteilen (§§ 15, 23 II). Schließlich ist auch das Recht auf Akteneinsicht (§ 13) ein Teil des Rechts auf Orientierung für die Beteiligten. In den Betreuungsverfahren ist eine vorherige Anhörung des Betroffenen unverzichtbar (BVerfG FamRZ 16, 1041) und es muss das Sachverständigengutachten in seinem vollen Wortlaut den Betroffenen zur Verfügung gestellt werden (BGH FamRZ 18, 1769 und 1770; 19, 139 und 1355).
Rn 12
Das aus dem rechtlichen Gehör erwachsende Recht auf Äußerung beinhaltet zunächst die Möglichkeiten, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen (§§ 23, 24, 25). Dies ist die aktive Seite des Rechts auf Äußerung. Damit in unmittelbarem Zusammenhang steht aber auch eine passive oder negative Komponente dieses Rechts auf Äußerung. Denn das Gericht darf seiner Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde legen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 37 II). Dabei hat das Gericht zur Wahrung rechtlichen Gehörs die Pflicht zur persönlichen Anhörung der Beteiligten (§ 34 I). Die Anhörung eines Betroffenen leidet aber an einem wesentlichen Verfahrensfehler, wenn sie sich nicht auf den gesamten verwerteten Verfahrensstoff erstreckt (BGH FamRZ 23, 1751).
Rn 13
Weit über die Pflichten der §§ 34 I, 37 II zu den Äußerungsrechten der Beteiligten hinaus, hat das Gericht die Verpflichtung, alle tatsächlichen und rechtlichen Äußerungen zur Kenntnis zu nehmen. Kenntnisnahme ist ein innerer Vorgang, wonach das Gericht das Vorbringen der Beteiligten anhört und den Beteiligten dabei seine volle und ungeteilte Aufmerksamkeit zuwendet.
Rn 14
Nach der berühmten Formel des BVerfG muss das Gericht die Äußerungen der Beteiligten ›in Erwägung ziehen‹. Das Verlangen, dass das Gericht ein bestimmten Vorbringen in Erwägung ziehen muss, beinhaltet also mehr als eine Kenntnisnahme, vielmehr eine Berücksichtigungspflicht von Äußerungen der Beteiligten. Dabei kann die Pflicht zur Berücksichtigung allerdings nur in einem formalen Sinn verstanden werden, dass das Gericht auf zulässiges Vorbringen eine gewisse Reaktion zeigen muss. Rechtliches Gehör kann dagegen kein Recht zur erfolgreichen Berücksichtigung bedeuten. Für den Anspruch auf rechtliches Gehör ist es ohne Bedeutung, in welcher Weise erhebliches Vorbringen in das Verfahren eingeführt worden ist. Auch Tatsachen, die das Gericht selbst aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes in das Verfahren eingeführt hat, muss es zum Gegenstand der Erörterung mit den Beteiligten machen. Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens setzt also zB zwingend voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme einräumt.