Rn 6

Grundlegend setzt die Festsetzung eines Ordnungsmittels einen zu vertretenden Verstoß gegen einen Vollstreckungstitel zur Herausgabe von Personen oder zur Regelung des Umgangs voraus. Bereits an einer Zuwiderhandlung fehlt es, wenn ein Kind infolge einer Rückführungsanordnung nach Art 12 HKÜ fristgemäß in seinen Heimatstaat zurückkehrt (Brandbg NZFam 23, 138). Die Anordnung verlange weder die Rückkehr an einem bestimmten Ort noch die Herausgabe des Kindes an eine bestimmte Person.

 

Rn 6a

Die Zuwiderhandlung kann auch durch den Umgangsberechtigten erfolgen, wenn gerichtlich angeordnete Umgangstermine nicht eingehalten werden (Frankf NJW-RR 22, 1515 [BGH 07.09.2022 - XII ZB 211/22]). Dies ist konsequent, denn in § 1684 I BGB wird die Pflicht zum Umgang dem Recht bewusst vorangestellt (Grüneberg/Götz § 1684 BGB Rz 1).

 

Rn 6b

Ein Ordnungsmittel kann aufgrund seines Sanktionscharakters zudem nur angeordnet werden, wenn der Verpflichtete seine Zuwiderhandlung zu vertreten hat. Das Vertretenmüssen umfasst auch hier Vorsatz und Fahrlässigkeit (vgl § 276 BGB) und wird in § 89 IV grds vermutet (Karlsr FamRZ 15, 2000). Der Verpflichtete muss deshalb die Umstände darlegen und beweisen, die ihn ohne eigenes Verschulden daran gehindert haben, den Vollstreckungstitel zu befolgen (KG FamRZ 17, 919, 920: Depression; Frankf FamRZ 22, 551: nur bei ernsthafter Kontaktverweigerung durch das Kind; Hambg FamRZ 21, 1406: gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Familien). Erforderlich ist eine detaillierte Erläuterung (BGH-NJW RR 12, 324, 326; Brandbg FamRZ 20, 44). Ein bloßer Hinweis auf die abstrakte Gefahr einer Corona-Infektion genügt nicht (Schlesw FamRZ 20, 1373; Brandbg NJW-RR 20, 887; Braunschw FamRZ 20, 1372; Frankf FamRZ 21, 198). Auch ein stornierter Rückflug genügt nicht zur Exkulpation, wenn es der Vater, der zur Übergabe des Kindes verpflichtet war, verpasst hat, gebotene und zumutbare Vorsorge für einen Alternativflug zu treffen (KG NJW-RR 22, 1590 [KG Berlin 22.06.2022 - 16 WF 29/22]). Ebenso wenig genügt der pauschale Hinweis auf das Kindeswohl. Denn sieht ein Elternteil wirklich das Kindeswohl als gefährdet an, so besteht ausreichender Schutz durch die Möglichkeit der Titelabänderung nach § 93 I Nr 4 (Braunschw NZFam 22, 1135). Rechtfertigende Gründe können auch noch nachträglich vorgebracht werden und führen dann zu einer Aufhebung des Ordnungsmittels (§ 89 IV 2). Den Sachverhalt, dh das Vorliegen eines Verstoßes gegen den Vollstreckungstitel, hat hingegen das Gericht selbst vAw aufzuklären (§ 26).

 

Rn 7

Macht der Verpflichtete geltend, dass das Kind den Umgang verweigert hat, muss er darlegen, wie er auf das Kind eingewirkt hat, um den Umgang zu ermöglichen und seiner dahingehenden Verpflichtung zu entsprechen (BGH FamRZ 12, 533, 535; Saarbr NJW-RR 20, 195; Frankf FamRZ 13, 812; Ddorf BeckRS 22, 9827). Diese Einwirkungspflicht ergibt sich aus einer zwischen den Eltern bestehenden Sonderverbindung familienrechtlicher Art (§ 311 II BGB), die auf dem Wohlverhaltensgebot nach § 1684 II BGB beruht (Grüneberg/Götz § 1684 BGB Rz 5). Sie besteht allerdings nur bis zu einem gewissen Alter (9–12 Jahre) des Kindes (s BeckOKFamFG/Sieghörtner Rz 9 mwN). Auch das Vertrauen auf einen den Anordnungen eines Umgangstitels zuwiderlaufenden (Rechts-)Rat des Jugendamts führt nicht zu fehlendem Verschulden. Auch das Jugendamt ist nicht berechtigt, sich über gerichtliche Anordnungen hinwegzusetzen (Ddorf NZFam 22, 611).

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