Gesetzestext
(1) Nach der Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses im Klageregister setzt das Prozessgericht von Amts wegen alle bereits anhängigen oder bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsziele im Musterverfahren noch anhängig werdenden Verfahren aus, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt. Das gilt unabhängig davon, ob in dem Verfahren ein Musterverfahrensantrag gestellt wurde. Die Parteien sind anzuhören, es sei denn, dass sie darauf verzichtet haben.
(2) Der Kläger kann die Klage innerhalb von einem Monat ab Zustellung des Aussetzungsbeschlusses ohne Einwilligung des Beklagten zurücknehmen, auch wenn bereits zur Hauptsache mündlich verhandelt wurde.
(3) Mit dem Aussetzungsbeschluss unterrichtet das Prozessgericht die Kläger darüber,
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dass die anteiligen Kosten des Musterverfahrens zu den Kosten des Rechtsstreits gehören und |
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dass Nummer 1 nicht gilt, wenn die Klage innerhalb von einem Monat ab Zustellung des Aussetzungsbeschlusses im Ausgangsverfahren zurückgenommen wird (§ 24 Absatz 2). |
(4) Das Prozessgericht hat das Oberlandesgericht, welches das Musterverfahren führt, unverzüglich über die Aussetzung zu unterrichten, wobei die Höhe des Anspruchs, soweit er von den Feststellungszielen des Musterverfahrens betroffen ist, anzugeben ist.
A. Zweck und Anwendungsbereich.
Rn 1
Die Aussetzung der Einzelverfahren vAw soll eine gebündelte Erledigung der gemeinsamen Problemkomplexe im Musterverfahren ermöglichen, ohne dass es zu doppelten Beweiserhebungen oder gar divergierenden Entscheidungen kommt. Die Vorschrift gilt auch in der Berufungsinstanz (BGH WM 08, 124; Oldbg ZIP 19, 465, München 3.8.22 – 3 U 1989/22), nicht aber in der Revisionsinstanz, weil der BGH nicht an Feststellungen des OLG gebunden werden sollte (BGH NJW 14, 3362 [BGH 15.07.2014 - XI ZR 100/13]). Die Aussetzung der Einzelverfahren ist für die gesamte Dauer des Musterverfahrens zwingend, dh bis zur formellen Rechtskraft des Musterentscheids (Abs 1 S 1, BTDrs 17/8799, 20). Eine ergänzende Anwendung von § 148 ZPO kommt im Anwendungsbereich des § 8 KapMuG nicht in Betracht (BGH NJW-RR 14, 758, 759). Das Aussetzungsverfahren darf nicht zur Umgehung der Unanfechtbarkeit des Vorlagebeschlusses (§ 6) genutzt werden, dh, die Bindungswirkung des Vorlagebeschlusses ist auch im Aussetzungsverfahren zu beachten (München ZIP 22, 1487).
B. Voraussetzungen der Aussetzung.
I. Abhängigkeit der Entscheidung von den geltend gemachten Feststellungszielen.
Rn 2
Der BGH hat sich für ein sehr enges Verständnis der ›Abhängigkeit‹ iSd Abs 1 S 1 ausgesprochen: Diese solle nur dann vorliegen, wenn aus Sicht des Prozessgerichts feststeht, dass es für die Entscheidung auf bestimmte im Musterverfahren zu klärende Feststellungsziele konkret ankommen wird, ggf sei vorher zu anderen Fragen auch eine Beweisaufnahme durchzuführen (BGH NJW 19, 3444, 3446 [BGH 30.04.2019 - XI ZB 13/18]; vgl zu den Konsequenzen Waßmuth/Asmus BKR 21, 15, 18; gegen die Auffassung des BGH nun überzeugend München NZG 22, 1632, 1640; Klöhn/Zell ZIP 24, 321). Demgegenüber ging die Gesetzesbegründung noch davon aus, dass das Gericht bei dieser Frage einen gewissen Beurteilungsspielraum haben müsse (BTDrs 17/8799, 20; ebenso Vorwerk/Wolf/Fullenkamp Rz 13; Oldbg ZIP 19, 465; München ZIP 18, 327).
Rn 3
Für die Auffassung des BGH spricht, dass jedem Anspruchsteller ein faires und zügiges Verfahren zu gewähren ist. Dieser Grundsatz wäre verletzt, wenn ein Prozess gem § 8 ausgesetzt würde, obwohl es im konkreten Falle aufgrund individueller Besonderheiten gar nicht auf das Ergebnis des ggf langwierigen Musterverfahrens ankommt. Jedoch ist diese Überlegung abzuwägen mit dem vom KapMuG verfolgten Ziel der Effizienz und der Justizentlastung. Dieser Zweck wäre gefährdet, wenn das Gericht in ggf Tausenden Einzelfällen zunächst sämtliche behaupteten individuellen Besonderheiten überprüfen müsste (ggf mit Beweisaufnahme), bevor es eine Aussetzungsentscheidung treffen kann. Bei der Beurteilung der Aussetzungsvoraussetzungen ist daher vom Prozessgericht eine Abwägung zwischen dem Effizienzziel des KapMuG einerseits und der Berücksichtigung individueller Besonderheiten andererseits vorzunehmen (zutr München NZG 22, 1632, 1640 [OLG München 19.09.2022 - 8 U 8302/21]). Dabei sind zunächst solche Fälle auszuscheiden, in denen die Klage offensichtlich abweisungsreif ist, ohne dass es einer (weiteren) Beweisaufnahme bedürfte, etwa wegen eindeutiger Unzulässigkeit (so im Falle anderweitiger Rechtshängigkeit, BGH NJW-RR 15, 299) oder Unbegründetheit (bei eindeutiger Verjährung, BGH NJW 09, 2539; BGH ZIP 16, 436); diese Verfahren dürfen nicht ausgesetzt werden. Bedarf es aber für die Beurteilung von Zulässigkeit oder Begründetheit einer noch durchzuführenden Beweisaufnahme oder der Beantwortung komplexer Rechtsfragen, so spricht das Effizienzziel des KapMuG – wohl entgegen der Auffassung des BGH – für eine Aussetzung. Die Auffassung, dass vor einer Aussetzungsentscheidung immer erst über die Zulässigkeit der Klage entschieden werden müsse (KK-KapMuG/Kruis Rz 33), überzeugt daher nicht, da auch Zulässigkeitsfrage...