Gesetzestext
(1) 1Das Gericht kann den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. 2Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen.
(2) 1Das Gericht kann auf Antrag gestatten, dass sich ein Zeuge, ein Sachverständiger oder eine Partei während einer Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 2Die Vernehmung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen. 3Ist Parteien, Bevollmächtigten und Beiständen nach Absatz 1 Satz 1 gestattet worden, sich an einem anderen Ort aufzuhalten, so wird die Vernehmung auch an diesen Ort übertragen.
(3) 1Die Übertragung wird nicht aufgezeichnet. 2Entscheidungen nach Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 sind unanfechtbar.
A. Normzweck.
Rn 1
Die durch das ZPO-RG 2002 (G v 27.7.01, BGBl I 1887) eingeführte und 2013 geänderte Norm (G v 25.4.13 BGBl I 935) wird im Jahre 2024 weitgehend neu gestaltet und erheblich erweitert. Dazu wurde im Oktober 2022 ein Referentenentwurf und am 23.8.23 ein Regierungsentwurf (BTDrs 20/8095) veröffentlicht. Der Rechtsausschuss hat diesen Entwurf noch weiter liberalisiert (BTDrs 20/9354). Das Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten ist bei Drucklegung noch nicht im BGBl erschienen. Die Regelung wird auch in allen anderen Verfahrensordnungen gelten. Sie durchbricht den herkömmlichen Begriff der mündlichen Verhandlung. Im Rahmen einer Videokonferenz wird nun nicht mehr vorausgesetzt, dass die Parteien und ihre Vertreter persönlich und gleichzeitig im Gerichtssaal anwesend sind. Anders als der noch geltende § 128a ist die Norm dann allein für den Bereich der mündlichen Verhandlung ausgestaltet. Das Beweisrecht ist dann in § 284 II, III mit §§ 375, 377, 411 erfasst. Anders als die Regelung des § 247a StPO ist Normzweck bei einer Videokonferenz im Zivilprozess nicht der Zeugenschutz, sondern der praktische Aspekt der Einsparung von Kosten und Zeit der Beteiligten (Prütting AnwBl 13, 330).
Das bisherige Problem der Norm bestand darin, dass sie lediglich die rechtliche Möglichkeit einräumte. Nunmehr wird es auch praktisch die generelle Möglichkeit einer Videokonferenz geben, sei es auf Antrag der Parteien oder vAw. Unzweifelhaft gibt die Norm den Parteien keinen Anspruch auf eine technische Einrichtung für Videokonferenzen. Das Gericht sollte aber auf die rechtliche Möglichkeit hinweisen. Angesichts der unverzichtbaren Verfahrensgarantie der Mündlichkeit (§ 128 Rn 4) darf allerdings eine virtuelle Kommunikation die physische Präsenz der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung nicht vollständig verdrängen oder gar ersetzen (Greger MDR 20, 957).
Rn 1a
Insgesamt zu § 128a vgl Windau NJW 20, 2753; ders AnwBl 21, 26; Greger MDR 20, 957; Mantz/Spoenle MDR 20, 637; Prütting AnwBl 13, 330; Resch/Kübra jM 22, 46; Heck ZIP 22, 1529; Burger jM 23, 48; Göttling FS Henssler 23, S 1397.
Zum neuen Recht Stürner/Stürner JZ 23, 340; Werner/Borowski AnwBl 23, 88.
B. Elektronischer Zivilprozess.
Rn 2
Der Gesetzgeber hat wichtige normative Voraussetzungen für einen elektronischen Zivilprozess geschaffen. Neben § 128a lassen §§ 130a, 130b, 130c sowie § 130d elektronische Dokumente zu. Gleiches gilt für die elektronische Rechtsmitteleinlegung (§§ 519 IV, 520 V, 525, 549 II, 551 IV). Das Protokoll in elektronischer Form sieht § 160a mit § 130b vor. Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 284 II, III, 371 I 2, 371a, 416a. Elektronische Aktenführung und Akteneinsicht sind in §§ 298a, 299 III, 299a vorgesehen. Zur Umwandlung elektronisch eingereichter Dokumente ist § 298 IV zu beachten. Auch das Urt kann in elektronischer Form ergehen sowie zugestellt und berichtigt werden (§§ 130b, 317 III, 317 V, 319 II, 320 III 6). Für den Antrag an den Gerichtsvollzieher gilt § 753 III 2. Zum elektronischen Antrag in der Zwangsvollstreckung vgl § 829a. Schließlich ist auf die elektronische Umrüstung von Handelsregister, Grundbuch, Schuldnerverzeichnis, Mahnverfahren sowie Testamentsregister zu verweisen (vgl Schwoerer Die elektronische Justiz, 2005). Am 15.10.15 hat der BTag ein elektronisches Schutzschriftenregister beschlossen (Bacher MDR 15, 1329), in das seit 2017 die Anwälte nach Berufsrecht (§ 49c BRAO) verpflichtend ihre Schutzschriften elektronisch einreichen müssen. In NRW sind seit 1.10.10 die bisherigen Justizkostenmarken (zum Aufkleben) abgeschafft und durch elektronische Kostenmarken ersetzt. Gemäß § 31a BRAO gibt es seit 28.11.16 ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA; s.u. § 130a Rn 7), das allerdings erst seit 3.9.18 funktionsfähig ist. Seit 1.8.22 ist § 31b BRAO hinzugetreten, dazu ferner §§ 19–29 RAVPV. Seine Einführung verstößt nicht gegen Art 12 GG (BVerfG AnwBl 18, 103 [BVerfG 20.12.2017 - 1 BvR 2233/17]). An verschiedenen Landgerichten ist die elektronische Akte als Pilotprojekt eingeführt worden (zur elekt...