Rn 9
Die Zustellung muss ›demnächst‹ erfolgen. Dadurch ist kein starrer zeitlicher Rahmen vorgegeben, sondern es ist eine Abwägung erforderlich, für die maßgeblich ist, ob der Zustellungsbetreiber alles ihm Zumutbare für eine alsbaldige Zustellung getan hat und ob der Rückwirkung keine schützenswerten Belange des Zustellungsempfängers entgegenstehen (BGH NJW 99, 3125 [BGH 27.05.1999 - VII ZR 24/98]; MDR 15, 1284 [BGH 10.09.2015 - IX ZR 255/14] Rz 15).
Danach ist zu differenzieren:
Rn 10
Beruht die Verzögerung auf Versäumnissen des Zustellungsbetreibers,. die sie oder ihr ProzBev bei sachgerechter Prozessführung hätte vermeiden können, sind ihm Verzögerungen, die nicht nur geringfügig sind, zuzurechnen (BVerfG NJW 12, 2869 Rz 2 ff; BGH NZG 20, 70 [BGH 12.09.2019 - IX ZR 262/18] Rz 23; BGH NJW 06, 3206 [BGH 12.07.2006 - IV ZR 23/05] Rz 16 ff). Geringfügig ist die Verzögerung dann, wenn die Verzögerung gerechnet vom Tag des Ablaufs der Frist nicht über 14 Tage hinaus reicht (BGH NZG 20, 238 [BGH 10.12.2019 - II ZR 281/18] Rz 8; MDR 18, 177 [BGH 29.09.2017 - V ZR 103/16] Rz 5 f; NJW-RR 18, 970 [BGH 20.04.2018 - V ZR 202/16] Rz 36; NJW 16, 568 [BGH 25.09.2015 - V ZR 203/14] Rz 9; NJW-RR 16, 650 [BGH 26.02.2016 - V ZR 131/15] Rz 10). Versäumnisse ohne Auswirkung auf die Dauer des Zustellungsverfahrens sind unbeachtlich (BGH NJW-RR 03, 599 [BGH 05.02.2003 - IV ZR 44/02]), ebenso Verzögerungen vor Ablauf der Verjährungsfrist (BGH NJW 22, 2196 [BGH 21.03.2022 - VIa ZR 275/21]). Ein Verschulden des Zustellungsbetreibers liegt auch nicht darin, dass dieser darauf vertraut, dass ein Gericht einen falsch adressierten Schriftsatz an das zuständige Gericht im ordentlichen Geschäftsgang weiterleitet (BGH MDR 07, 1276). Etwas anderes gilt dann, wenn er einen Irrtum des Gerichts erkennt, etwa dass das Gericht eine unbedingt erhobene Klage als PKH-Antrag behandelt, und gleichwohl untätig bleibt (BGH NJW 10, 73 [BGH 17.09.2009 - IX ZR 74/08]).
Rn 11
Für das Mahnverfahren sieht § 691 II vor, dass der Zustellungsadressat eine Rückwirkung auch dann noch hinnehmen muss, wenn der fristgerecht gestellte Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids wegen formaler Mängel zurückgewiesen und dann innerhalb eines Monats Klage erhoben und diese demnächst zugestellt worden ist. Der BGH hat diese Wertung auf alle Mängel, die der Zustellung eines Mahnbescheids entgegenstehen, übertragen (BGH NJW 02, 2794 [BGH 21.03.2002 - VII ZR 230/01]). Hier hindert eine vom Zustellungsbetreiber zu vertretende Verzögerung von bis zu einem Monat die Rückwirkung also nicht (BAG NZA 15, 1259 [BAG 13.11.2014 - 6 AZR 869/13] Rz 46). Diese Privilegierung des Zustellungsbetreibers ist allerdings auf das Mahnverfahren und dort auf Verzögerungen vor Zustellung des Mahnbescheids beschränkt (BGH NJW 08, 1672 Rz 12; aA Zö/Greger Rz 11).
Rn 11a
Dem Adressaten zuzurechnende Verzögerungen (zB falsche Adressangabe, Wohnungswechsel, Inhaftierung) stehen der Rückwirkung nicht entgegen (BGH NJW 88, 411, 413 [BGH 15.06.1987 - II ZR 261/86]; 93, 2614, 2615 [BGH 22.06.1993 - VI ZR 190/92]). Der Zustellungsbetreiber muss jedoch innerhalb eines zumutbaren Zeitrahmens die möglichen Maßnahmen ergreifen, zB, indem er eine öffentliche Zustellung beantragt.
Rn 12
Verzögerungen, die ihre Ursache im Geschäftsbetrieb des Gerichts haben, sind grds unbeachtlich (BGH NJW-RR 03, 559). Es gibt keine absolute zeitliche Grenze, nach deren Überschreitung eine Zustellung nicht mehr als demnächst anzusehen ist (BGH NJW 06, 3206; ebenso BGH WM 09, 2032 Rz 15, wo es um eine Verzögerung von mehr als einem Jahr ging). Dies kann in einem Zustellverfahren auch dann gelten, wenn es zu mehrmonatigen Verzögerungen kommt. Wird ein Vorschuss aus in der Sphäre des Gerichts liegenden Umständen erst nach Monaten angefordert, aber dann umgehend bezahlt, ist die Zustellung gleichwohl ›demnächst‹ erfolgt (Rostock 30.3.23 – 3 U 99/21: 5 1/2 Monate). Bei Wechsel des Insolvenzverwalters tritt die Rückwirkung auch dann ein, wenn aufgrund eines Verschuldens des Gerichts nicht die rechtzeitig eingereichte Klage des Amtsvorgängers, sondern die des zwischenzeitlich bestellten Amtsnachfolgers zugestellt wird, falls der Klageantrag identisch ist (Ddorf NZG 24, 165). Ist die Verzögerung teils vom Gericht, teils vom Zustellungsbetreiber verursacht, sind die vom Gericht zu vertretenden Verzögerungen nicht in die Frist von 14 Tagen (Rn 10) einzurechnen (BGH NJW 00, 2282).
Rn 13
Bei Verzögerungen, die weder auf Versäumnissen des Zustellungsbetreibers noch des Gerichts, sondern auf den Besonderheiten des Zustellungsverfahrens beruhen (insb bei Auslandszustellungen), kann eine Zustellung nach mehreren Monaten noch demnächst sein (BGH MDR 84, 124; NJW 03, 2830, 2831 [BGH 11.07.2003 - V ZR 414/02]; Brand NJW 04, 1138, 1141).
Rn 13a
Zweifelhaft ist, ob der Kläger, nachdem er alle von ihm geforderten Mitwirkungshandlungen für eine ordnungsgemäße Klagezustellung erbracht, insb den Gerichtskostenvorschuss eingezahlt hat, gehalten ist nachzufragen, wa...