Rn 3
Neben den allgemeinen Zustellungsvoraussetzungen (s § 166 Rn 6 ff) erfordert § 175, dass der Zustellungsadressat das zuzustellende Schriftstück persönlich mit der Erklärung entgegennimmt, es als zugestellt anzunehmen (BGH NJW 06, 1206, 1207 [BGH 18.01.2006 - VIII ZR 114/05]; 12, 2117 [BGH 19.04.2012 - IX ZB 303/11] Rz 6; NJW-RR 15, 953 Rz 7). Eine Ersatzzustellung ist nicht möglich. Entgegengenommen hat der Zustellungsadressat das Dokument, wenn er daran derart Gewahrsam erlangt hat, dass er von seinem Inhalt Kenntnis nehmen kann. Es genügt nicht, dass ein RA das Schriftstück tatsächlich erhalten oder hiervon Kenntnis genommen hat (BGH NJW 89, 1154 [BGH 22.11.1988 - VI ZR 226/87]). Vielmehr muss er empfangsbereit sein, was er durch seine Unterschrift auf dem Empfangsbekenntnis dokumentiert (BVerfG NJW 01, 1563, 1564 [BVerfG 27.03.2001 - 2 BvR 2211/97]; BGH NJW 07, 600, 601 [BGH 20.07.2006 - I ZB 39/05]; NJW-RR 15, 953 [BGH 13.01.2015 - VIII ZB 55/14] Rz 7). Hat er das Schriftstück in dieser Weise entgegengenommen, ist es unerheblich, ob er tatsächlich Kenntnis von seinem Inhalt genommen hat.
Rn 3a
Ein RA ist nicht verfahrensrechtlich, sondern nur standesrechtlich (§ 14 BORA) zur Entgegennahme verpflichtet (BGH NJW 59, 1871, 1872 [BGH 07.07.1959 - VIII ZR 111/58]). Lehnt er die Entgegennahme ab, ist die Zustellung nach § 175 gescheitert; fehlende Empfangsbereitschaft kann auch nicht nach § 189 geheilt werden (Bremen NJOZ 23, 1051; BGH NJW-RR 15, 953 [BGH 13.01.2015 - VIII ZB 55/14] Rz 7, 12; BVerwG NJW 15, 3386 [BVerwG 27.07.2015 - BVerwG 9 B 33.15] Rz 5).
Rn 4
Der Zustellungswille wird idR durch die Übersendung des vorbereiteten Empfangsbekenntnisses oder die Bitte um Übersendung eines solchen zum Ausdruck gebracht (BGH NJW 54, 1722, 1723 [BGH 29.09.1954 - II ZR 292/53]).
Rn 5
Das Empfangsbekenntnis ist bei Zustellung nach § 175 Wirksamkeitsvoraussetzung der Zustellung. Es muss (auf Kosten des Zustellungsadressaten) in der Form des Abs 4 vom Zustellungsadressaten persönlich (oder seinem amtlich bestellten Vertreter, nicht aber vom Büropersonal, vgl BSG NJW 10, 317, 318 [BSG 23.04.2009 - B 9 VG 22/08 B]) erteilt und zurückgesandt werden. Ein schriftliches oder als Telekopie (Fax) übermitteltes Empfangsbekenntnis muss von dem Zustellungsadressaten eigenhändig unterschrieben sein (BGH NJW-RR 92, 1150). Das Empfangsbekenntnis kann auch als elektronisches Dokument (§ 130a) zurückgesandt werden (Abs 4 S 2). Es sollte in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Zustellung ausgestellt werden; dies ist aber nicht Wirksamkeitsvoraussetzung. Erforderlich ist lediglich, dass der Empfänger sich bewusst ist, noch an einem Zustellungsvorgang mitzuwirken (BGH NJW-RR 15, 953 [BGH 13.01.2015 - VIII ZB 55/14] Rz 7). Anfechtung und Widerruf des Empfangsbekenntnisses sind ausgeschlossen, wenn es erteilt, dh der Geschäftsstelle zugegangen, ist (vgl BGH MDR 17, 1318 Rz 14). Die Verwendung eines bestimmten Formulars für das Empfangsbekenntnis ist nicht erforderlich (BGH NJW 87, 2679 [BGH 11.03.1987 - VIII ZR 160/86] zu § 212; Hamm NJW 10, 3380, 3381 [OLG Hamm 12.01.2010 - 4 U 193/09]). Deshalb steht es einem Empfangsbekenntnis gleich, wenn der Zustellungsadressat in einem Schriftsatz den Empfang bestätigt (VGH Bayern 10.8.23 – 6 ZB 23.1135: ›Gegen das mir am 16.5.2023 zugestellte Urteil lege ich Berufung ein.‹) Inhaltlich genügen die Bezeichnung des zugestellten Schriftstücks und die Bestätigung der Zustellung. Die Angabe des Datums der Zustellung ist nicht Wirksamkeitsvoraussetzung (BGH NJW 05, 3216, 3217; nicht mehr str). Auch eine falsche Datumsangabe berührt die Wirksamkeit nicht (BGH NJW-RR 92, 1150, 1151 [BGH 13.05.1992 - VIII ZR 190/91]).
Rn 6
Das Empfangsbekenntnis begründet als Privaturkunde (vgl BGH NJW 90, 2125; 12, 2117 Rz 6; FamRZ 95, 799; Zweibr FamRZ 14, 1655 Rz 3; aA BGH NJW 87, 1335; 07, 600 Rz 7; BSG NJW-RR 02, 1652; BVerwG NJW 94, 535: öffentliche Urkunde iSd § 418; s.a. § 418 Rn 12) vollen Beweis für die Zustellung. Der Beweis des Gegenteils ist zulässig (BGH NJW 06, 1206; 12, 2117 Rz 8; OVG Lüneburg NJW 05, 3802); an ihn sind strenge Anforderungen zu stellen (BVerfG NJW 01, 1563, 1564; BGH NJW 96, 2514; NJW 06, 1206, 1207; NJW 12, 2117 Rz 8; Zweibr FamRZ 14, 1655; BFH/NV 16, 50). Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben setzt voraus, dass die Beweiswirkung vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können (BGH NJOZ 19, 876). Für elektronische Empfangsbekenntnisse gilt § 371a. Wird ein elektronisches Empfangsbekenntnis nicht vom RA selbst, sondern von seinem Sekretariat zurückgesandt, weil er diesem vorschriftswidrig sein Zertifikat für das beA überlassen hat, muss er sich diese Erklärung zurechnen lassen (BSGE 134, 265 [BSG 14.07.2022 - B 3 KR 2/21 R]; OVG Niedersachsen NVwZ 24, 82 [OVG Niedersachsen 20.09.2023 - 10 LA 94/23]). Auch wenn ein unterschriebenes papierenes Empfangsbekenntnis von einer B...