Gesetzestext
(1) 1Sind die Parteien durch Anwälte vertreten, so kann ein Dokument auch dadurch zugestellt werden, dass der zustellende Anwalt das Dokument dem anderen Anwalt übermittelt (Zustellung von Anwalt zu Anwalt). 2Auch Schriftsätze, die nach den Vorschriften dieses Gesetzes von Amts wegen zugestellt werden, können stattdessen von Anwalt zu Anwalt zugestellt werden, wenn nicht gleichzeitig dem Gegner eine gerichtliche Anordnung mitzuteilen ist. 3In dem Schriftsatz soll die Erklärung enthalten sein, dass von Anwalt zu Anwalt zugestellt werde. 4Die Zustellung ist dem Gericht, sofern dies für die zu treffende Entscheidung erforderlich ist, nachzuweisen. 5Für die Zustellung von Anwalt zu Anwalt gelten § 173 Absatz 1 und § 175 Absatz 2 Satz 1 entsprechend.
(2) 1Zum Nachweis der Zustellung eines Schriftstücks genügt das mit Datum und Unterschrift versehene Empfangsbekenntnis desjenigen Anwalts, dem zugestellt worden ist. 2§ 175 Absatz 4 gilt entsprechend. 3Die Zustellung eines elektronischen Dokuments ist durch ein elektronisches Empfangsbekenntnis in Form eines strukturierten Datensatzes nachzuweisen. 4Der Anwalt, der zustellt, hat dem anderen Anwalt auf Verlangen eine Bescheinigung über die Zustellung zu erteilen.
A. Normzweck.
Rn 1
§ 195 wurde, zuletzt mWv 1.1.22, an den elektronischen Rechtsverkehr angepasst.
Die Rechtslage bei der Zustellung von Anwalt zu Anwalt blieb aber unverändert. So kann bei einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt ein Schriftstück auch weiterhin durch Telekopie (Fax) zugestellt werden. Des Weiteren ist auch die Zustellung eines elektronischen Dokuments von Anwalt zuAnwalt insbesondere per beA, aber auch auf einem anderen sicheren Übermittlungsweg möglich. § 195 vereinfacht das Verfahren, indem es die unmittelbare Zustellung von RA zu RA ermöglicht.
B. Tatbestandsvoraussetzungen.
I. Anwendungsbereich.
Rn 2
Die Zustellung von RA zu RA entfaltet alle Zustellungswirkungen. Sie ist immer möglich bei Parteizustellungen, kann aber auch eine Amtszustellung ersetzen, wenn nicht zugleich eine gerichtliche Anordnung zuzustellen ist (Abs. 1 S 2). Wichtigster Anwendungsfall ist die Zustellung von Schriftsätzen im laufenden Prozess, auch wenn diese eine Klageänderung/-erweiterung oder die Erhebung einer Widerklage enthalten; sie führt zu deren Rechtshängigkeit. Die Klageschrift kann dagegen nicht nach § 195 zugestellt werden (arg § 253 V 1), ebenso wenig Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschriften. Eine Zustellung nach § 195 genügt auch zur Einleitung der Zwangsvollstreckung gem § 750 II. Rechtsmittel- oder Einspruchsfristen können durch eine Zustellung nach § 195 allerdings nicht in Gang gesetzt werden. Willenserklärungen nach § 132 BGB können nach allgM nur durch den GV zugestellt werden. Zur Prozessbürgschaft s § 108 Rn 12. Eine Zustellung nach § 195 ist nicht zwingend (Abs 1 S 1: ›kann … auch‹); der RA kann auch den GV nach § 192 beauftragen. Daneben ist weiter eine Mitteilung nach § 135 möglich.
II. Vertretung durch RA.
Rn 3
Zustellungsveranlasser und -adressat (vgl § 166 Rn 3) müssen durch einen RA (oder eine ihm gleichgestellte Person, zB Abwickler) vertreten sein. Für das Erlöschen einer bestehenden Vollmacht gilt § 87, für die Überprüfung § 88. Eine unmittelbare Zustellung an die anderen in § 174 genannten Personen (§ 174 Rn 1) ist nicht möglich.
III. Ausführung.
Rn 4
Das zuzustellende Schriftstück ist zu übermitteln. Eine Papierabschrift muss beglaubigt sein (vgl § 169 Rn 3 f). Bei der Zustellung eines gerichtlichen elektronischen Dokuments (§ 130b) ist dagegen keine (weitere) Beglaubigung durch den Anwalt erforderlich (Dresd GRUR-RS 23, 26628). Die Übermittlung muss zum Zweck und mit dem Willen der Zustellung geschehen. Der Zustellungswille kommt in dem Zustellungshinweis (zB ›Ich stelle selbst zu‹) zum Ausdruck, den das Schriftstück enthalten soll. Dieser ist nicht Wirksamkeitsvoraussetzung; erforderlich ist nur, dass der Zustellungswille erkennbar geäußert worden ist. Hierfür genügt auch die Übersendung eines vorbereiteten Empfangsbekenntnisses oder die Bitte um Rücksendung eines solchen. Die Erklärung ›Gegner hat Abschrift‹ lässt dagegen (eher) auf eine formlose Übersendung ohne Zustellungswillen schließen.
IV. Entgegennahme.
Rn 5
Der empfangende RA muss zum Empfang des Schriftstücks als zugestellt bereit sein. Das setzt voraus, dass er die Zustellungsabsicht kennt (BGH NJW 81, 462 [BGH 29.10.1980 - IVb ZR 599/80]). Unterzeichnet er das Empfangsbekenntnis (Rn 6), wird vermutet, dass er das Schriftstück erhalten und als zugestellt angenommen hat (s.a. § 174 Rn 2). § 195 verpflichtet den Anwalt, an den zugestellt werden soll, allerdings nicht zu einer Mitwirkung an der Zustellung; er empfängt die zugestellte Urkunde vielmehr nur als Vertreter seiner Partei und ist nicht gehindert, die Annahme der Urkunde und die Ausstellung des Empfangsbekenntnisses zu verweigern, ohne dass hieran prozessuale Nachteile geknüpft wären (BGH NJW 15, 3672 Rz 13). Die Weigerung ist auch nicht standeswidrig (BGH NJW 15, 3672 [BGH 26.10.2015 - AnwSt (R) 4/15] Rz 6 ff). Verfahrensrechtlich ist die Zustellung dann nicht wirksam erfolgt, insb ka...