Rn 62
Bemerkt der Anwalt, dass er eine Rechtsmittelbegründung wegen Arbeitsüberlastung nicht rechtzeitig erstellen kann, muss er rechtzeitig einen Fristverlängerungsantrag an das zuständige Gericht stellen; versäumt er die Antragstellung, ist die Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist nicht schuldlos (BGH NJW 13, 3181 [BGH 01.07.2013 - VI ZB 18/12] Rz 9). Ein Anwalt darf bei einem ersten, fristgerecht gestellten Verlängerungsantrag auch darauf vertrauen, dass die beantragte Fristverlängerung von einem Monat erfolgt, wenn einer der Gründe des § 520 II 2 dargelegt wird, also zB Einwilligung des Gegners, Arbeitsüberlastung des Anwalts, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf (BGH MDR 21, 379; 18, 484; MDR 17, 895 [BGH 09.05.2017 - VIII ZB 69/16]; vgl auch BVerfG NJW 07, 3342 [BVerfG 26.07.2007 - 1 BvR 602/07]); er kann deshalb einen Fristverlängerungsantrag auch noch ganz kurz vor Fristablauf stellen; ihn trifft dann auch keine Erkundigungspflicht innerhalb der ursprünglichen Frist (BGH MDR 21, 379; 18, 547; MDR 17, 837; NJW-RR 17, 564). Dass die Bewilligung durch das Gericht erst nach Fristablauf erfolgt, ist (seit BGHZ 83, 217) unschädlich. Anders ist es, wenn ein erheblicher Grund nicht dargelegt worden ist (BGH NJW 93, 134: Verlängerungsantrag ohne Angabe von Gründen); das Gericht ist in einem solchen Fall nicht verpflichtet, die Ablehnung der Fristverlängerung noch rechtzeitig per Fax oder Telefon mitzuteilen; hierauf darf der Anwalt nicht darauf vertrauen, vielmehr trifft ihn in diesem Fall eine Erkundigungspflicht (BGH NJOZ 08, 300). Da eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist über einen Monat hinaus nur mit Einwilligung des Gegners zulässig ist (§ 520 II 3), muss der Anwalt das Einverständnis einholen und anwaltlich versichern, nur dann kann er erwarten, dass eine weitere Verlängerung bewilligt wird (BGH NJW 23, 1449 [BGH 30.01.2023 - VIa ZB 15/22], Rz. 10; 23, 1812 Rz 23; AnwBl 21, 686 [BGH 25.08.2021 - XII ZB 172/20]; 21, 924 f; NJW 09, 1181); eine Ausnahme dürfte für allerdings für den Fall anzunehmen sein, dass einem rechtzeitigen Akteneinsichtsgesuch des Anwalts noch nicht entsprochen wurde (BGH NJW-RR 00, 847; NJW 04, 1742); für das Revisionsverfahren ist dieses Problem durch § 551 II 6 Hs 2 gelöst. Der RA darf grds davon ausgehen, dass das Berufungsgericht bei einer Einwilligung des Gegners in eine weitere Fristverlängerung sein Ermessen erneut pflichtgemäß ausüben wird, ohne sich an die Kundgabe der vorangegangenen Fristverlängerung als ›letztmalig‹ zu halten oder wegen dieser Kundgabe andere Maßstäbe an die Begründetheit des Fristverlängerungsantrags anzulegen als die gesetzlich vorgegebenen (BGH NJOZ 23, 1109 Rz 13). Zu beachten ist, dass das Vertrauen auf eine Fristverlängerung nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Fristverlängerungsantrag die erforderliche Form (§ 130d) wahrt (BGH NJW 23, 2883 [BGH 21.06.2023 - V ZB 15/22] Rz 14 ff.). In jedem Fall muss bei oder alsbald nach Einreichung eines Verlängerungsantrages das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung im Fristenkalender eingetragen und als vorläufig gekennzeichnet werden (BGH MDR 18, 1331 [BGH 04.09.2018 - VIII ZB 70/17]; MDR 10, 1142 [BGH 13.07.2010 - VI ZB 1/10]; NJW 11, 1598 [BGH 22.03.2011 - II ZB 19/09]). Der endgültige Ablauf der Berufungsbegründungsfrist darf nicht schon mit Einreichung des Fristverlängerungsantrages, sondern erst dann eingetragen werden, wenn eine beantragte Fristverlängerung tatsächlich gewährt worden ist (BGH 18.1.18 – V ZB 166/17, juris Rz 9; VersR 84, 336, NJW-RR 06, 1649, 1650); jedenfalls ist durch geeignete Maßnahmen sicher zu stellen, dass vor dem beantragten Fristablauf das wirkliche Ende der Frist – ggf durch genaue (telefonische) Rückfrage bei Gericht – festgestellt wird (BGH NJW-RR 08, 367, 368 [BGH 16.10.2007 - VI ZB 65/06]; NJW 11, 1971 [BGH 27.01.2011 - VII ZB 44/09]). Bei Eingang der schriftlichen Verlängerungsverfügung ist das darin angegebene Fristende zu überprüfen.
Rn 63
Der Prozessbevollmächtigte ist verpflichtet, einen Fristverlängerungsantrag darauf zu überprüfen, ob er an das zuständige Gericht adressiert ist (BGH MDR 17, 1381 [BGH 29.08.2017 - VI ZB 49/16]). Hat der Anwalt alles getan, um einen rechtzeitigen Verlängerungsantrag zu stellen, bei dem er von einer Gewährung der beantragten Fristverlängerung ausgehen durfte, ist dieser Antrag aber ohne Verschulden des Anwalts nicht rechtzeitig bei Gericht eingegangen (Verzögerung oder Verlust auf dem Postweg), kommt Wiedereinsetzung in die versäumte Frist in Betracht; dabei ist grds die Begründung innerhalb der beantragten Fristverlängerung nachzuholen, es sei denn, die Wiedereinsetzungsfrist ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen (BGH NJW 96, 1350 [BGH 21.12.1995 - VII ZB 17/95]; NJW-RR 09, 1583 [BGH 16.04.2009 - VII ZB 66/08; VII ZB 67/08]).