Rn 46
Die Verspätung muss auf einer groben Nachlässigkeit der Partei oder ihres gesetzlichen Vertreters bzw Prozessbevollmächtigten (§§ 51 I, 85 II) beruhen. Grob nachlässig handelt die Partei, wenn sie ihre Pflicht zur Prozessführung in besonders gravierender Weise vernachlässigt, sie also dasjenige unterlässt, was nach dem Stand des Verfahrens jeder Partei hätte als notwendig einleuchten müssen (BGH NJW 97, 2244, 2245 [BGH 20.03.1997 - VII ZR 205/96]; BGH 10.5.16 – VIII ZR 97/15 Rz 15; 24.9.19 – VIII ZR 289/18, NJW 19, 3456 Rz 20). Einfache Fahrlässigkeit genügt nicht. Beispiele für grobe Nachlässigkeit sind, dass die Partei wenigstens fahrlässig eine ihr mögliche Aufrechnung nicht im ersten Rechtszug, sondern erst in der Revisionsinstanz erklärt (BGH NJW-RR 10, 1500, 1501), oder ein Beweismittel zu einem zentralen Punkt des Rechtsstreits bewusst zurückhält, um erst einmal abzuwarten, zu welchem Ergebnis die Erhebung der bisher angebotenen Beweise führt (BGH VersR 07, 373; NJW-RR 11, 211 Rz 28). Die Partei hat vielmehr auch die nur hilfsweise in Erwägung zu ziehenden Angriffs- und Verteidigungsmittel alsbald vorzutragen, wenn diese geeignet sind, das Verfahren abzukürzen. Insoweit hat die Partei sich auch über eine für die Entscheidung des Rechtsstreits wesentliche Frage Gewissheit zu verschaffen (BGH NJW 88, 60, 62 [BGH 25.03.1987 - IVa ZR 224/85]). Die Partei ist aber grds nicht verpflichtet, tatsächliche Umstände, die ihr nicht bekannt sind, erst zu ermitteln (BGH NJW 03, 200, 202 [BGH 15.10.2002 - X ZR 69/01]), zB Baumängel, die sie aus eigener Sachkunde nicht ohne Gutachter erkennen konnte (Celle NJW 10, 1535, 1536 [BGH 16.03.2010 - VI ZR 176/09]). Die Prozessförderungspflicht verlangt zwar konzentrierte Verfahrensführung, aber nicht, tatsächliche Umstände, die der Partei nicht bekannt sind, erst zu ermitteln (BGH NJW-RR 11, 211 [BGH 10.06.2010 - Xa ZR 110/09] Rz 28; 30.10.13 – VII ZR 339/12 Rz 9). Allenfalls bei Vorliegen besonderer Umstände kann anderes gelten (BGH aaO; 30.6.10 – IV ZR 229/07 Rz 11). Bei einem komplexeren Streitstoff genügt es, schwer darstellbare Angriffs- oder Verteidigungsmittel zunächst anzukündigen (Nürnbg 14.5.07 – 5 U 180/07). Allein die knapp verspätete Einzahlung des Auslagenvorschusses indiziert noch keine grobe Fahrlässigkeit (BGH 10.5.16 – VIII ZR 97/15 Rz 15; 24.9.19 – VIII ZR 289/18, NJW 19, 3456 Rz 21 – dort auch zur Verzögerung durch Gegenvorstellung).
Rn 47
Die säumige Partei trifft keine Beweislast. Die grobe Nachlässigkeit wird anders als das Verschulden bei § 296 I nicht vermutet (aA Wieczorek/Schütze/Weth Rz 183 f). Die verspätet vortragende Partei trägt eine Behauptungs- und Beweislast erst und nur, wenn substanziiert auf grobe Nachlässigkeit hindeutende Tatsachen vorgetragen sind (s aber BGH NJW 82, 2559, 2561 [BGH 05.05.1982 - VIII ZR 152/81]). Die den Vorwurf der groben Nachlässigkeit begründenden Tatsachen und ggf eine Zurechnung nach § 85 II muss das Gericht in seinem Urt feststellen (BAG NJW 20, 2912 [BAG 11.06.2020 - 2 AZR 400/19] Rz 26; BGH 10.5.16 – VIII ZR 97/15 Rz 15). Ebenso ist deutlich zu machen, dass und warum das Gericht sein Ermessen (Rn 48) ausgeübt hat (BGH 2.9.13 – VII ZR 242/12 Rz 15; 10.5.16 – VIII ZR 97/15 Rz 16). Vorab ist der Partei Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Gründen der Verspätung (BGH NJW-RR 91, 701 [BGH 08.11.1990 - VII ZR 3/90]; 02, 646, 647) und Glaubhaftmachung des Entschuldigungsgrundes (Rn 51) zu geben (Rn 29; BGH 10.5.16 – VIII ZR 97/15 Rz 17). Ggf ist dazu die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen (BGH 24.9.19 – VIII ZR 289/18, NJW 19, 3456 Rz 26).