Gesetzestext
1Verzichtbare Rügen, die die Zulässigkeit der Klage betreffen und die entgegen den §§ 520 und 521 Abs. 2 nicht rechtzeitig vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt. 2Dasselbe gilt für verzichtbare neue Rügen, die die Zulässigkeit der Klage betreffen, wenn die Partei sie im ersten Rechtszug hätte vorbringen können. 3Der Entschuldigungsgrund ist auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen.
A. Systematik, Zweck, Anwendungsbereich.
Rn 1
Zulässigkeitsfragen sind auch in der Berufungsinstanz grds vAw zu prüfen (Ausn BGH MDR 23, 51 und 241). Soweit es ausnahmsweise einer Rüge bedarf, gelten für sie an sich die allgemeinen Vorschriften über Angriffs- und Verteidigungsmittel (§§ 530, 531 I). Besonders geregelt sind sie in § 532, weil Zulässigkeitsfragen aus Gründen der Prozessökonomie am Beginn des Verfahrens zu erörtern sind. Verzichtbare Zulässigkeitsrügen sind deswegen in § 532 (entsprechend § 296 III) einer über § 530 hinausgehenden, verzögerungsunabhängigen Präklusion unterworfen und in 2. Instanz selbst dann ausgeschlossen, wenn deren Berücksichtigung die Verfahrensdauer verkürzen würde (Musielak/Voit/Ball Rz 1).
Rn 2
Die Vorschrift gilt in allen Berufungsverfahren, auch im WEG-Verfahren. Auf das arbeitsgerichtliche Berufungsverfahrens findet sie gem § 64 VI ArbGG entsprechende Anwendung.
B. Verzichtbare Zulässigkeitsrügen.
Rn 3
Anwendbar ist § 532 nur auf diejenigen Zulässigkeitsvoraussetzungen, die nicht vAw zu berücksichtigen sind, sondern einer Geltendmachung durch eine Partei bedürfen. Hierzu gehören die Einrede der mangelnden Prozesskostensicherheit eines ausländischen Klägers nach § 113 iVm § 110 ff (Nürnbg MDR 16, 1112 [OLG Nürnberg 04.07.2016 - 14 U 612/15]), die Einrede der mangelnden Kostenerstattung nach Zurücknahme einer früheren Klage nach § 269 VI und die Einrede einer Schiedsvereinbarung nach § 1032. Auch der Einwand, aufgrund der Unwirksamkeit eines Prozessvergleichs müsse das Ursprungsverfahren fortgesetzt werden, ist eine verzichtbare prozessuale Rüge, die grds vor Beginn der Verhandlung zur Hauptsache bzw. im Rahmen einer vom Gericht gesetzten Klageerwiderungsfrist vorzubringen ist (BGH Urt v 21.11.13 – VII ZR 48/12). Inwieweit andere Einreden der Nichteinhaltung von Vereinbarungen zum Ausschluss der Klagbarkeit (zB über die Durchführung eines Güteversuchs bei einer Schiedsstelle vor Klageerhebung, BGH ZZP 99, 90) ebenfalls hierunter fallen, ist Frage des Einzelfalles (Prütting ZZP 99, 93, 95 ff; aA [nicht anwendbar] Anders/Gehle/Göertz ZPO § 535 Rz 3).
Rn 4
§ 532 umfasst nicht bloß die Rüge selbst, sondern alle zu ihrer Begründung vorgebrachten Tatsachenbehauptungen und Beweisantritte (MüKoZPO/Rimmelspacher § 535 Rz 4; aA St/J/Leipold § 282 Rz 36), nicht indes die zur Rechtfertigung der Zulässigkeit vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel des Klägers (ThoPu/Reichold § 535 Rz 6), diese beurteilen sich ausschließlich nach §§ 530, 531.
Rn 5
Alle anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind vAw zu berücksichtigen, Vorbringen der Parteien hierzu ist bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht möglich.
C. Rechtzeitigkeit der Rüge.
Rn 6
Verzichtbare Zulässigkeitsrügen müssen in der Berufung erhoben werden. Dies gilt nicht nur für ›neue Rügen‹, die erstinstanzlich noch nicht erhoben waren, sondern auch für ›alte Rüge‹. Letztere dauern nicht fort, sondern müssen in der Berufung wiederholt werden.
I. Frist.
Rn 7
Verzichtbare Zulässigkeitsrügen müssen vom Berufungskläger innerhalb der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 II), vom Berufungsbeklagten innerhalb der Berufungserwiderungsfrist vorgebracht werden. War dem Berufungsbeklagten eine Erwiderungsfrist nicht gesetzt (§ 521 II 1), muss er die Rüge in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vor der Verhandlung zur Hauptsache vorbringen (§ 525 iVm §§ 282 III 1, 296 III; BGH NJW-RR 06, 496 [BGH 21.12.2005 - III ZR 451/04]).
II. Fristversäumung.
Rn 8
Nach Ablauf der Frist vorgebrachte verzichtbare Rügen können nur dann berücksichtigt werden, wenn die Nichteinhaltung der Frist genügend entschuldigt wird (dazu § 530 Rn 11). Dies ist nicht der Fall, wenn die Partei an der Verspätung irgendeine Form des Verschuldens trifft, wobei bereits einfache Fahrlässigkeit schadet (BGH NJW 85, 743, 744 [BGH 29.03.1984 - I ZR 230/81]). Der Entschuldigungsgrund ist nicht in jedem Fall, sondern nur auf besonders Verlangen des Gerichts hin glaubhaft zu machen (§§ 532 S 3, 294). Ob durch die Verspätung eine Verzögerung des Rechtsstreits eintritt, spielt keine Rolle, selbst eine durch die Berücksichtigung möglicherweise eintretende Verkürzung der Verfahrensdauer kann nicht zur Berücksichtigungsfähigkeit der Rüge führen (BGH NJW 85, 744 [OLG Karlsruhe 06.11.1984 - 13 W 155/84]; St/J/Grunsky § 529 aF Rz 3; Schneider NJW 03, 1435).
III. Alte Rügen.
Rn 9
Verzichtbare Zulässigkeitsrügen, die bereits in 1. Instanz erhoben waren, dauern in 2. Instanz nicht ohne weiteres fort, müssen zweitinstanzlich fristgerecht oder mit genügender Entschuldigung (Rn 7, 8) wiederholt werden (Rn 6). Eine solche Wiederholung einer alten Rüge muss nicht ausdrü...