Prof. Dr. Katharina Hilbig-Lugani
Gesetzestext
(1) 1Handelt der Schuldner der Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, so ist er wegen einer jeden Zuwiderhandlung auf Antrag des Gläubigers von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges zu einem Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zur Ordnungshaft oder zur Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu verurteilen. 2Das einzelne Ordnungsgeld darf den Betrag von 250 000 Euro, die Ordnungshaft insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen.
(2) Der Verurteilung muss eine entsprechende Androhung vorausgehen, die, wenn sie in dem die Verpflichtung aussprechenden Urteil nicht enthalten ist, auf Antrag von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges erlassen wird.
(3) Auch kann der Schuldner auf Antrag des Gläubigers zur Bestellung einer Sicherheit für den durch fernere Zuwiderhandlungen entstehenden Schaden auf bestimmte Zeit verurteilt werden.
A. Normzweck und systematische Einordnung.
Rn 1
§ 890 ermöglicht dem Gläubiger eines titulierten Unterlassungs- oder Duldungsanspruchs gegen den Schuldner zu vollstrecken und entspricht für diesen Bereich der Handlungsvollstreckung nach den §§ 887 f. Praktische Bedeutung kommt § 890 va im Bereich der Störung dinglicher Rechte, im Wettbewerbs-, Urheber-, Patent- und Namensrecht sowie beim Schutz absoluter Rechtsgüter (zB der Ehre) zu. Auch gilt § 890 qua Verweis in anderen Rechtsgebieten. ›Schlicht hoheitliche‹ Unterlassungsgebote werden nicht nach § 172 VwGO, sondern nach § 167 I VwGO iVm § 890 vollstreckt (OVG Berlin-Brandenburg NVwZ-RR 01, 99 f [OVG Berlin 29.08.2000 - 8 L 25/99]; OVG SchlH 17.10.19 – 2 O 6/19, Rz 7; OVG SchlH 8.11.21 – 5 MB 29/21, Rz 19 ebenso für behördliche Unterlassungen allgemein OVG NRW NWVBl 2019, 40, Rz 3). § 172 VwGO erfasst vielmehr nur die Vollstreckung einer einstweiligen Anordnung gegen die öffentliche Hand, mit der die Verwaltung zu Maßnahmen verpflichtet wird, mit denen sie eine spezielle hoheitliche Regelungsbefugnis in Anspruch nimmt (VG Ansbach 13.8.20 – AN 14 V 20.01444, Rz 12). Die Privilegierung des § 172 VwGO greift nicht, wenn die ihm zugrunde liegende Vermutung, bei der öffentlichen Verwaltung sei allenfalls ein geringer Druck erforderlich, um sie zur Befolgung eines rechtskräftigen Urteils anzuhalten, im konkreten Einzelfall widerlegt ist (VGH BaWü ZUR 20, 555 [VGH Baden-Württemberg 14.05.2020 - 10 S 461/20], Rz 23). § 890 gilt qua Verweis auch für die in § 95 I FamFG genannten Titel (näher Prütting/Helms/Hammer § 95 FamFG, Rz 5). Zu Unterlassungsverpflichtungen aus § 1 GewSchG vgl zudem § 96 I FamFG.
Rn 1a
Schließlich kann der Schuldner aufgrund von Abs 3 zur Bestellung einer Sicherheit auf bestimmte Zeit verurteilt werden, damit dem Gläubiger der durch weitere Zuwiderhandlungen entstehende Schaden ersetzt werden kann. Die Haft zur Erzwingung der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung (§ 802g) ist im Gegensatz dazu ein reines Beugemittel zur Erzwingung eines vom Gesetz befohlenen Verhaltens; die Erzwingungshaft muss zeitlich nicht hinter ersatzweise angeordneter Ordnungshaft nach § 890 zurückbleiben (BVerfG NJW 18, 531 [BVerfG 03.11.2017 - 2 BvR 2135/09], Rz 19, 21 f).
Rn 2
Als Vollstreckungsmittel stehen dem Gericht Ordnungsgeld oder Ordnungshaft zur Vfg. Nach richtiger Ansicht erfüllen beide eine Doppelfunktion: Durch ihre Verhängung wird der Schuldner zum einen angehalten, der titulierten Verpflichtung für die Zukunft nachzukommen. Insoweit hat die Norm also präventive Funktion in Gestalt der Willensbeugung des Schuldners (vgl BGHZ 120, 73, 78; BVerfG NJW-RR 17, 957, Rz 25). Da die Verhängung des Ordnungsmittels auf ein pflichtwidriges Verhalten des Schuldners reagiert, kommt ihm gleichzeitig strafähnlicher (repressiver) Charakter zu (grdl BVerfG NJW 67, 195, 196; fortgeführt durch BVerfGE 58, 159, 162 f; BVerfG NJW-RR 17, 957, Rz 25; BGHZ 156, 335, 345; G/S/B-E § 73, Rz 26 f; Brandbg FamRZ 19, 1269; KG MD 19, 581, Rz 46; aA Ddorf NJW-RR 88, 1216), insb dann, wenn Prävention ausscheidet, weil ein weiterer Verstoß gegen das Unterlassungs- oder Duldungsgebot nicht in Betracht kommt. Insoweit unterscheidet sich § 890 von den in § 888 vorgesehenen Zwangsmitteln, deren Bedeutung sich in der Beugefunktion erschöpft. Dies wird aus der unterschiedlichen Bezeichnung der Vollstreckungsmittel in § 888 (Zwangsgeld, Zwangshaft) und in § 890 (Ordnungsgeld, Ordnungshaft) ersichtlich. Es gelten das Schuldprinzip (BVerfG NJW-RR 17, 957 [BVerfG 09.05.2017 - 2 BvR 335/17], Rz 26), weswegen die Norm Verschulden voraussetzt, und das Verbot der Doppelahndung, das verletzt ist, wenn die Gegenstände der früheren und späteren Festsetzung von Ordnungsmitteln nach Anlass, Ziel und Zweck in allen Einzelheiten identisch sind (BGH 21.4.2022 – I ZB 56/21 = WM 22, 1782; Frankf GRUR-RR 17, 166) und auch ansonsten können strafrechtliche Grundsätze Anwendung finden, vgl Rn 20. Der BGH radiziert das Verbot der Doppelahndung nicht in Art 103 III GG (hier wurzelt das Doppelbestrafungsverbot), sondern im Rechtsstaatsprinzip (Art 20 II...