Rn 3

Anders als im allgemeinen Anfechtungsrecht berechtigt im Erbrecht auch ein Motivirrtum, also jede irrige Vorstellung über vergangene oder gegenwärtige Tatsachen, oder eine enttäuschte Zukunftserwartung, zur Anfechtung, soweit Irrtum oder Erwartung bereits bei Errichtung der Verfügung bestanden (BGHZ 42, 327, 332; München NJW-RR 89, 1410; BayObLG FamRZ 03, 708: Kriminelle Vergangenheit des Bedachten; Köln NJOZ 04, 3836: Entwicklung der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse eines enterbten Kindes). Eine zur Anfechtung berechtigende Enttäuschung einer Erwartung kann auch nach dem Erbfall noch eintreten (Frankf FamRZ 93, 613); die Grenze wird durch die Anfechtungsfrist (§ 2082) gezogen. Das Motiv oder die Erwartungen des Erblassers müssen sich nicht aus dem Testament ergeben, sondern können aus beliebigen Anhaltspunkten ermittelt werden (BGH NJW 65, 584; zu den Anforderungen an den Nachweis BayObLG NJOZ 03, 3267).

 

Rn 4

Wenn der Erblasser erhebliche Zweifel am Eintritt oder Ausbleiben bestimmter Tatsachen oder Rechtswirkungen hatte, dann nahm er das entspr Risiko offenbar bewusst in Kauf; eine Anfechtung findet dann nicht statt (BeckOKBGB/Litzenburger § 2078 Rz 7); gleiches gilt, wenn er selbst durch Regelungen Vorsorge getroffen hat (BayObLG FamRZ 01, 873).

 

Rn 5

Hingegen berechtigen auch solche Vorstellungen und Erwartungen zur Anfechtung, die dem Erblasser bei Errichtung der Verfügung zwar nicht bewusst waren, die er ihr aber als selbstverständlich zugrunde gelegt hat (BGH FamRZ 83, 898; BGH NJW-RR 87, 1412; Brandbg FGPrax 22, 75), etwa den positiven Verlauf seiner Ehe (BayObLG FamRZ 90, 322; BayObLG ZEV 04, 152) oder den Fortbestand einer freundschaftlichen Beziehung (BayObLG FamRZ 02, 915) oder eines langjährigen Zwistes (BayObLG NJW-RR 02, 367). Bei einem völligen Fehlen einer Vorstellung oder Erwartung kommt hingegen keine Anfechtung in Betracht (BGH WM 71, 1153).

 

Rn 6

Irrtum oder enttäuschte Erwartung berechtigen zur Anfechtung, wenn sicher erscheint, dass der Erblasser die Verfügung bei Kenntnis der Sachlage nicht errichtet hätte (BGH NJW-RR 87, 1412; BayObLG NJW-RR 02, 367; FamRZ 03, 1787).

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