Rn 1

Für den Rechtsbehelf des Schadensersatzes arbeitet das Gesetz mit einer zentralen Norm: § 280 I ist – jedenfalls der Idee nach die einzige – Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche aufgrund jeglicher Pflichtverletzungen in Schuldverhältnissen. Die Vorschrift kommt grds unabhängig von der Art der Pflichtverletzung und der Art des Schuldverhältnisses zur Anwendung. § 280 I gilt damit bei der Verletzung sowohl von Leistungs- als auch von Schutzpflichten (s § 241 Rn 14, 15), wie sie sich – ggf im Wege der Auslegung oder Ergänzung (s § 242 Rn 26) – aus dem jeweiligen Schuldverhältnis ergeben. Die Vorschrift betrifft vertragliche wie gesetzliche Schuldverhältnisse und ist damit insbes auch Anspruchsgrundlage für Ansprüche aus Verletzung vorvertraglicher Pflichten (culpa in contrahendo; s § 311 Rn 33) sowie für die Verletzung von Pflichten aus laufender Geschäftsverbindung (§ 311 II Nr 3; vgl Graff JZ 76, 153). Erfasst sind auch das zwischen Ehegatten (Staud/Otto § 280 Rz B 2; missverständlich BGH NJW 13, 2108 Rz 15 [Verschweigen der Nichtvaterschaft] oder Wohnungseigentümern (s BGHZ 163, 154, 175 f) bestehende gesetzliche Schuldverhältnis sowie – vorbehaltlich der §§ 978–1003 – das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (MüKo/Baldus § 985 Rz 79). Nicht erfasst wird das zwischen Arbeitgeber und Zugang zum Betrieb fordernder Gewerkschaft bestehende Rechtsverhältnis (LAG München NZA-RR 01, 662 [LAG München 28.03.2001 - 9 TaBV 14/01]; aA LAG Hamm 21.7.06, 10 TaBV 11/06, nv). Eine Anwendung auf öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse ist grds (s Vor § 241 Rn 12) möglich (OLGR Saarbr 06, 643 [in casu verneint; Nachfolge als Bezirksschornsteinfegermeister begründet kein Schuldverhältnis]; s zur pFV des alten Schuldrechts BGHZ 61, 7, 11; 135, 341, 344).

 

Rn 2

Für die Beendigung des Vertrags wegen Pflichtverletzung gilt § 280 grds nicht. Deren Voraussetzungen ergeben sich vielmehr aus §§ 314, 323, 324, 326 V sowie entspr Spezialtatbeständen. Im Wege des Schadensersatzes statt der ganzen Leistung (s Rn 5256) lassen sich jedoch in großem Umfang kündigungs- respective rücktrittsgleiche Wirkungen erzielen.

 

Rn 3

Idealiter verweisen Vorschriften, welche an anderer Stelle auf Schadensersatzansprüche Bezug nehmen, auf die Zentralnorm und begründen keine eigenen Anspruchsgrundlagen. Das gilt insbes für §§ 327i Nr. 3, 437 Nr 3 und 634 Nr 4, die – anders als gelegentlich zu lesen – keine eigene Anspruchsgrundlage enthalten (s § 437 Rn 28 ff, § 634 Rn 8). Ebenso enthalten die §§ 281–283 lediglich zusätzliche Voraussetzungen der Ersatzfähigkeit des eingetretenen Schadens; nicht etwa gewähren sie selbst einen Anspruch auf Schadensersatz. Die Regelungen der einzelnen Schuldverhältnisse enthalten jedoch eine ganze Reihe weiterer Anspruchsgrundlagen, die vielfach noch nicht auf die §§ 280 ff abgestimmt sind. S etwa §§ 122, 179 II, III, 523 I, II 1, 524 I, II 2, 536a I, 600, 628 II, 651n, 694, 701 sowie §§ 89 II, 375, 376, 390, 414, 425, 455, 468, 475, 487, 488, 498512, 520 II, 521 IV, 523, 536551, 587 IV, 589 II, 594 V, 595 I HGB. Auch ansonsten finden sich gelegentlich verdrängende Tatbestände (s BAG AP Nr 23 zu § 2a ArbGG [Kosten des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens]); zu diesen zählt auch § 15 AGG (BAG NZA 12, 1211 [BAG 21.06.2012 - 8 AZR 188/11] Rz 42–45). § 280 konkurriert mit Anspruchsgrundlagen europäischen Rechts, etwa mit Art 35a RatingagenturenVO (Wojcik NJW 13, 2385, 2389).

 

Rn 4

Während in den meisten Fällen über die Einordnung einzelner Vorschriften weitestgehend Einigkeit besteht, ist das Verhältnis zu § 311a II 1 umstr: Vielfach findet sich hier die Auffassung, es handele sich um eine eigenständige Anspruchsgrundlage (BTDrs 14/6040, 166; Jauernig/Stadler § 311a Rz 1; unkritisch übernommen von Karlsr NJW 05, 989, 991 [OLG Karlsruhe 14.09.2004 - 8 U 97/04]). Dem ist jedoch entgegenzutreten: § 311a II 1 begründet lediglich einen besonderen Maßstab des Vertretenmüssens für anfängliche Leistungsstörungen (s § 276 Rn 17; Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 559 ff).

 

Rn 5

Für das richtige Verständnis von § 280 ist der Blick auf Funktion und Regelungstechnik von § 280 II, III entscheidend. Sie betreffen zusätzliche Voraussetzungen für die Ersatzfähigkeit bestimmter Schäden. Dementspr erfolgen die erforderlichen Abgrenzungen nicht nach Art der Pflichtverletzung, sondern nach Art des Schadens (wie hier Jauernig/Stadler § 280 Rz 3; Grigoleit/Riehm AcP 203 [2003] 727, 730). Die richtige Qualifikation des Schadens ist nach neuem Recht eine Hauptaufgabe des Rechtsanwenders. Sie erfolgt für jeden Schadensposten gesondert (Jauernig/Stadler § 280 Rz 4). Grundlage der Schadensersatzpflicht des Schuldners im Falle einer zu vertretenden Pflichtverletzung bleibt in den Fällen allein § 280 I.

 

Rn 6

Das Gesetz arbeitet mit drei verschiedenen Kategorien von besonderen Schadensarten, nämlich dem Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 III, 281 I 1, II, III, IV, 283 1), dem Schadensersatz statt der ganzen Leistung (§§ 281 I 2 u 3, V...

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