Gesetzestext
(1) 1Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. 2Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.
(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.
Rn 1
Die Vorschrift wurde erst mit G v 20.12.12 (BGBl I 2749) eingefügt, das am 28.12.12 in Kraft trat. Anlass hierfür war das Urteil einer kleinen Strafkammer des LG Köln vom 7.5.12 (FamRZ 12, 1421 m Anm Spickhoff) im Berufungsrechtszug, die die Einwilligung der Eltern in eine Beschneidung für unbeachtlich hielt, weil diese entgegen den Anforderungen des Kindschaftsrechts nicht dem Kindeswohl diene. Das LG sprach den angeklagten Arzt jedoch frei, weil er sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden habe. Durch dieses Urteil ist bei vielen Eltern Rechtsunsicherheit entstanden. Denn bis zu dessen Bekanntwerden Ende Juni 12 war in der medizinischen und juristischen Praxis oft unbestritten, dass Eltern grds auch in eine nicht medizinisch indizierte, zB religiös motivierte, Zirkumzision rechtswirksam einwilligen können (BTDrs 17/11430, 5). Tatsächlich war nach richtiger Ansicht auch nach alter Gesetzeslage die lege artis aus zwingenden religiösen Gründen durchgeführte Beschneidung vom Erziehungsrecht der Eltern gedeckt, da sie vorrangig berufen sind, für ihr Kind dessen Religionsfreiheit in Anspruch zu nehmen; anders verhält es sich mit anderen religiös oder kultisch motivierten schweren und gefährlichen körperlichen Eingriffen, wie etwa der Beschneidung von Mädchen (Klinkhammer FamRZ 13, 1913, der zu Recht darauf hinweist, dass die Wirksamkeit der Einwilligung im Außenverhältnis grds nicht von der Kindeswohlentsprechung im Innenverhältnis abhängt, solange die Kindeswohlgefährdung nicht offensichtlich ist und einen Missbrauch der gesetzlichen Vertretungsmacht darstellt; Spickhoff FamRZ 13, 337; vgl auch OVG Lüneburg NJW 03, 3290; Frankf FamRZ 08, 785). Der mit G v 20.9.13 (BGBl I 3671), in Kraft seit 28.9.13, neu eigefügte § 226a StGB stellt die Verstümmelung weiblicher Genitalien nun als Verbrechen unter Strafe.
Rn 2
Die Beschneidung muss gem Abs 1 S 1 grds durch einen Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden. Nur in den ersten 6 Monaten ist gem Abs 2 auch die Einwilligung in eine Beschneidung durch einen qualifizierten Nicht-Arzt möglich, der hierzu nach den Riten einer Religionsgemeinschaft berufen ist. Die Vorschrift behandelt nur die Wirksamkeit der Einwilligung bei einem nicht einsichts- und urteilsfähigen (männlichen) Kind. Hat das Kind selbst die erforderliche Einwilligungsfähigkeit, entscheidet allein sein Wille (aA Frankf FamRZ 20, 336 mAnm Götz s. § 1629 Rn 3). Das wird man zumindest ab einem Alter von 14 Jahren annehmen können, häufig aber auch schon früher (zur Notwendigkeit der Anhörung Hamm FamRZ 13, 1818).
Rn 3
Gem Abs 1 S 2 ist eine Einwilligung nicht wirksam, wenn durch sie – auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks – das Kindeswohl gefährdet wird. Diese Einschränkung macht deutlich, dass auch bei religiös motivierten Beschneidungen das Kindeswohl die oberste Richtschnur bleibt. Daher ist eine Einwilligung insb nicht wirksam, wenn eine körperliche Gefahr für das Kind droht. Aber auch, wenn das noch nicht einsichts- und urteilsfähige Kind widerspricht, kann dessen Wohl gefährdet sein, wobei dem Willen des Kindes mit zunehmendem Alter ein größeres Gewicht zukommt. Fast immer wird bei allen nicht religiös motivierten Beschneidungen eine Gefährdung des Kindeswohls anzunehmen sein, wenn nicht ausnahmsweise medizinische Gründe vorliegen.
Rn 4
Daraus, dass die Beschneidung von Mädchen in der Vorschrift nicht behandelt wird, folgt im Gegenschluss, dass sie – auch wenn sie religiös oder kultisch motiviert wäre – nicht einwilligungsfähig ist. Dasselbe gilt für Beschneidungen, die die Voraussetzungen des § 1631d aus anderen Gründen nicht erfüllen.