Rn 32
Welcher Elternteil besser geeignet ist, das Kind zu erziehen und welcher Elternteil das bessere Erziehungskonzept und den besseren Erziehungsstil hat, lässt sich anhand von positiven Merkmalen nur schwer feststellen, zumal man innerhalb einer gewissen Bandbreite mit Wertungen zurückhaltend sein muss. Es ist nicht Aufgabe des Familienrichters darüber zu befinden, welcher Erziehungsauffassung generell der Vorzug zu geben ist, solange die in Betracht kommenden innerhalb bestimmter Grenzen liegen (Hamm FamRZ 89, 654; vgl auch J/H/A/Lack § 1671 Rz 60; FA-FamR/Maier Kap 4 Rz 244). Deshalb beschränkt sich die Prüfung im Allg darauf, ob bei einem Elternteil objektive Umstände festzustellen sind, die seine Erziehungseignung mindern oder ganz aufheben (vgl auch FAKomm-FamR/Ziegler § 1671 Rz 42 ff). Solche sind insb psychische Erkrankungen (Brandbg FamRZ 2012, 235), deutlich verminderte Intelligenz, erhöhte Aggressions- und Gewaltbereitschaft; Alkohol- und Drogenabhängigkeit (Brandbg FamRZ 02, 1), körperliche Erkrankungen, sofern sie sich auf die Erziehungsfähigkeit auswirken (Stuttg NJW 88, 26: HIV nicht), kriminelle Verhaltensweisen, insb Gewalttaten, sexueller Missbrauch (s.u. Rn 34), wobei Vorstrafen allein noch nicht genügen (Rostock FamRZ 15, 338, 339); Kindesentführung (Hambg FamRZ 20, 925: nur bei konkretem Verdacht; Brandbg FamRZ 20, 1726 m abl Anm Hüßtege FamRZ 20, 1839: Kindeswohl entscheidend, hier: Übertragung Alleinsorge auf Entführerin; Celle FamRZ 23, 532), schlechte Kenntnisse der deutschen Sprache und Kultur bei Kindeswohnsitz in Deutschland, entwürdigender Erziehungsstils, Defizite bei der tatsächlichen Betreuung des Kindes (vgl Kobl R 97, 93; Brandbg FamRZ 03, 49), mangelnde Bereitschaft die elterliche Verantwortung wahrzunehmen. Ein solcher negativer Umstand wiegt umso schwerer, je stärker er ausgeprägt ist und je mehr er sich ggü dem Kind auswirkt. Die bloße Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas oder der Scientology-Organisation mindert allein die Erziehungseignung noch nicht (Oldbg NJW 97, 2962; Hamm FuR 97, 56; FamRZ 11, 1306; Hambg FamRZ 96, 684; Düsseld FamRZ 95, 1511; Stuttg FamRZ 95, 1290; KG FamRZ 23, 698; AG Helmstedt FamRZ 07, 1837; Frankf FamRZ 97, 573; AG Tempelhof-Kreuzberg FamRZ 09, 987), sie tut es aber, wenn der betreffende Elternteil den repressiven Erziehungsstil, den diese Sekten lehren (vgl Oelkers/Kraft FuR 97, 161) kritiklos auf das Kind anwendet und es auch im Sinne dieser ›Heilslehren‹ zu beeinflussen sucht (Frankf FamRZ 94, 920). Das Vorleben streng islamischer Werte seitens der Mutter – wie etwa das Tragen einer Vollverschleierung oder ein stark eingeschränkter Kontakt zu Personen des anderen Geschlechts – stellt sich als nachteilig im Hinblick auf deren Erziehungseignung dar, doch kann die Übertragung geleichwohl gerechtfertigt sein, wenn sonstige Gesichtspunkte – wie etwa die Kontinuität der Lebensverhältnisse und die Bindungen sowie der Wille des Kindes – für die Mutter sprechen (Hamm FamRZ 17, 1225; vgl auch KG FamRZ 18, 1329). Erziehungsdefizite eines Elternteils stehen einer Übertragung der Sorge nicht entgegen, wenn dieser sie mithilfe Dritter kompensieren kann (Kobl FamRZ 19, 298).
Rn 33
Das Zusammenleben mit oder die bloße Beziehung zu einem neuen Lebenspartner begründet für sich genommen keinen Mangel der Erziehungsfähigkeit, auch wenn der neue Partner der Grund für das Scheitern der Ehe war. Doch muss der Elternteil den neuen Partner dem Kind behutsam nahebringen und darf ihn nicht an Stelle des leiblichen Vaters oder der leiblichen Mutter setzen. Ist er hierzu nicht gewillt oder nicht in der Lage, so kann dies einen erheblichen Erziehungsmangel darstellen. Auch ist es dem Wohl des Kindes nicht förderlich, wenn die neue Lebenspartnerschaft sich dahingehend auswirkt, dass das Kind, das gerade in der Trennungszeit besonders viel Liebe und Aufmerksamkeit braucht, vernachlässigt wird. Schließlich kann die Erziehungseignung des Elternteils eingeschränkt sein, wenn sein neuer Lebenspartner seinerseits eines der oben genannten Defizite (s Rn 32) aufweist.
Rn 34
Eine Sonderstellung innerhalb der kriminellen Verhaltensweisen nimmt der sexuelle Missbrauch von Kindern ein, insb des Kindes, für das das Sorgerecht beantragt wird. Es versteht sich von selbst, dass der Elternteil, der sein Kind nachweislich missbraucht hat, die elterliche Sorge nicht erhalten kann. Regelmäßig wird dies auch dann der Fall sein, wenn der sexuelle Missbrauch an einem fremden Kind begangen wurde, da diese Verhaltensweise auf eine generelle Erziehungsunfähigkeit schließen lässt (vgl Brandbg EzFamR 01, 306, 307; 10, 221). Steht der sexuelle Missbrauch noch nicht fest, muss das FamG den Sachverhalt iRs Amtsermittlungspflicht gem § 26 FamFG selbst aufklären (vgl Hambg FamRZ 20, 1736), insb durch Anhörung der Eltern, Einvernahme sachdienlicher Zeugen sowie Erholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens. Häufig führt dies jedoch zu keinem eindeutigen Ergebnis. Liegt ab...