Prof. Dr. Maximilian Zimmer
Gesetzestext
(1) Die Annahme gilt als nicht erfolgt, wenn der Erbe über den Berufungsgrund im Irrtum war.
(2) Die Ausschlagung erstreckt sich im Zweifel auf alle Berufungsgründe, die dem Erben zur Zeit der Erklärung bekannt sind.
A. Allgemeines.
Rn 1
Der Irrtum über den Berufungsgrund führt, ohne dass es einer Anfechtung bedarf, kraft Gesetzes zur Nichtigkeit der Annahme. Kommt es dem Erben auf den Grund seiner Erbenstellung nicht an, ist I nicht anwendbar, da die Berufung auf einen Irrtum rechtsmissbräuchlich wäre (Lange/Kuchinke § 8 VII 1d; nach Pohl AcP 177, 52 fehlt es an der Kausalität). Gilt die Erbschaft nur als angenommen, weil die Ausschlagungsfrist abgelaufen ist, findet § 1949 dagegen keine Anwendung.
B. Nichtige Annahme.
I. Berufungsgrund.
Rn 2
Es ist der konkrete Tatbestand, der zur Berufung als Erbe geführt hat (Staud/Otte § 1944 Rz 8), wie zB eine Verfügung von Todes wegen oder ein zugrunde liegendes Verwandtschaftsverhältnis. Eine Gleichsetzung der richtigen Kenntnis vom Berufungsgrund mit der Kenntnis vom Grund der Berufung nach § 1944 II scheidet aus (Erman/Schmidt § 1949 Rz 1; aA MüKo/Leipold § 1949, Rz 4). Erforderlich sind solche Tatsachen, die die Identität des Tatbestandes in Frage stellen, weshalb der Irrtum über das Datum der Verfügung nicht genügt (vgl Erman/Schmidt § 1949 Rz 2).
II. Irrtum über den Berufungsgrund.
Rn 3
Der Irrtum kann auf unterschiedlichen Umständen beruhen: Erbe geht zu Unrecht von der Erbenstellung kraft Gesetzes aus, obgleich er durch Verfügung von Todes wegen berufen ist; der Erbe irrt auch, wenn er sich als gesetzlicher Erbe aufgrund eines anderen gesetzlichen Tatbestandes (Verwandtschaft statt Ehe) für berufen hält (RGRK/Johannsen § 1949 Rz 2) oder er sich durch Testament eingesetzt glaubt, wohingegen seiner Erbeinsetzung ein Erbvertrag zugrunde liegt (Staud/Otte § 1949 Rz 6). Danach macht jeder Irrtum, auch ein Rechtsirrtum, die Annahme unwirksam (BGH NJW 97, 392 [BGH 16.10.1996 - IV ZR 349/95]), und zwar unabhängig davon, ob der Irrtum entschuldbar ist oder nicht (NKK-BGB/Ivo § 1949 Rz 4). Schlägt ein Erbe ›aus allen Berufungsgründen‹ die Erbschaft aus, zeigt er, dass er auf jegliche Nachlassbeteiligung keinen Wert legt; diese Ausschlagung erfasst sowohl die dem Ausschlagenden bekannten als auch unbekannten Berufungsgründe und ist nicht wegen Irrtums (über die Person des Nächstberufenen) anfechtbar (Hamm FamRZ 11, 1426).
C. Wirkung des Irrtums.
Rn 4
Die Ausschlagung erstreckt sich, wenn mehrere Berufungsgründe vorliegen, nach II auf die den Erben bekannten Berufungsgründe. Die dem Erben nicht bekannten, aber tatsächlich vorliegenden Berufungsgründe werden im Zweifel nicht erfasst. Nach Maßgabe des § 1948 kann die Ausschlagung auf einen bestimmten Berufungsgrund beschränkt werden (NK-BGB/Ivo § 1949 Rz 7), sofern dem Ausschlagenden alle Berufungsgründe bekannt sind.
D. Auslegungsregel des Abs 2.
Rn 5
Die Vorschrift dient der Rechtssicherheit iRd Nachlassabwicklung und erfasst auch solche Berufungsgründe, durch die die Erbschaft dem Erben sofort und unmittelbar anfallen würde (MüKo/Leipold § 194f Rz 9). II ist nicht anwendbar, wenn der Anfall der Erbschaft an den Ausschlagenden erst durch ein künftiges Ereignis erfolgt (KG JW 35, 2652).