Prof. Dr. Maximilian Zimmer
Gesetzestext
Vor der Annahme der Erbschaft kann ein Anspruch, der sich gegen den Nachlass richtet, nicht gegen den Erben gerichtlich geltend gemacht werden.
A. Allgemeines.
Rn 1
Vor der Annahme der Erbschaft soll der vorläufige Erbe nicht gezwungen sein, einen gegen den Nachlass gerichteten Prozess zu führen. Vom Anfall bis zur Entscheidung über die Annahme der Erbschaft bleibt das Eigenvermögen des Erben vor dem Zugriff der Nachlassgläubiger geschützt, ausgenommen jedoch Nachlasserbenschulden (NK-BGB/Ivo § 1958 Rz 3). Während dieser Zeit fehlt ihm die passive Prozessführungsbefugnis (Soergel/Naczinsky § 1958 Rz 2 mN; hM; aA RGZ 60, 179), was vAw zu beachten ist. Nach § 239 V ZPO ist der vorläufige Erbe weder berechtigt noch verpflichtet, einen durch den Tod des Erblassers unterbrochenen Rechtsstreit fortzusetzen. Klagt ein Nachlassgläubiger gegen den Erben, ist die Erbschaftsannahme eine vAw zu berücksichtigende Prozessvoraussetzung, die der Kläger schlüssig behaupten muss (Grüneberg/Weidlich § 1958 Rz 1). Ist sie nicht feststellbar, wird die Klage als unzulässig abgewiesen.
Rn 2
Darüber hinaus schützt § 1958 vor durch eine Ausschlagung überflüssig werdende Gerichtsverfahren (NK-BGB/Ivo § 1958 Rz 1). Wer nicht Erbe wird, weil er ausschlägt oder die Annahme angefochten hat, muss nicht durch das Verfahrensrecht geschützt werden. Daher sind die gegen ihn gerichteten Klagen, solange er noch die Freiheit zur Entscheidung über die Annahme der Erbschaft hat, als von Anfang an unbegründet mit der Folge, dass der Nachlassgläubiger nach § 91a ZPO die Kosten trägt, wenn der beklagte Erbe nach Klagezustellung die Erbschaft wirksam ausschlägt, weil die Ausschlagung zur Folge hat, dass der Beklagte nie Erbe geworden ist (LG Bonn ErbR 10, 255).
Rn 3
§ 1958 gilt nur für Passivprozesse des vorläufigen Erben. Nach der Erbschaftsannahme sind die §§ 2014 f, 1967 ff zu prüfen, da der Erbe auch dann noch durch aufschiebende Einreden geschützt ist.
B. Gerichtliche Geltendmachung vor der Annahme.
Rn 4
Die Vorschrift erfasst alle Nachlassverbindlichkeiten iSd § 1967. Für die Nachlasserbenschulden gilt dies nur, soweit die Haftung gem Vereinbarung auf den Nachlass beschränkt wurde. Der vorläufige Erbe haftet für die Nachlasserbenschulden ohnehin ohne Rücksicht auf eine evtl spätere Ausschlagung mit seinem Eigenvermögen (NK-BGB/Ivo § 1958 Rz 3). Insoweit verbietet § 1958 die gerichtliche Geltendmachung eines solchen Anspruchs vor der Erbschaftsannahme nicht (MüKo/Leipold § 1958 Rz 2).
Rn 5
Wegen des Ziels der Freistellung des vorläufigen Erben von der Prozessführung erstreckt sich der Ausschluss nicht nur auf Ansprüche, sondern lässt die gerichtliche Geltendmachung von Rechten ggü dem Nachlass schlechthin nicht zu (MüKo/Leipold § 1958 Rz 3f). IÜ gilt § 1958 auch für Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Staud/Mesina § 1958 Rz 11).
Rn 6
Vor Erbschaftsannahme ist die Zwangsvollstreckung wegen Eigenverbindlichkeiten nur in das Vermögen des Erben, wegen Nachlassverbindlichkeiten nur in den Nachlass zulässig, §§ 778, 779 ZPO (LG Dortmund NJW 73, 374 [LG Dortmund 02.11.1972 - 9 T 417/72]); insb darf eine Vollstreckungsklausel gegen den ›Erben‹ nicht erteilt werden, § 928 ZPO (Brox/Walker Rz 315). Auch eine Sicherung des Anspruchs durch Arrest oder einstweilige Verfügung ist gegen den Erben nicht zulässig (RGZ 60, 179). Dagegen sind einstweilige Maßnahmen zum Schutz absoluter Rechte nicht ausgeschlossen (Staud/Mesina § 1958 Rz 4).
Rn 7
Hat die Zwangsvollstreckung gegen den Erblasser bereits zu dessen Lebzeiten begonnen, wird das Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 779 I ZPO fortgesetzt anstelle eines Nachlasspflegers ist ein Vertreter nach § 770 II ZPO zu bestellen. Gegen unzulässige Zwangsvollstreckungsmaßnahmen kann sich der vorläufige Erbe nach §§ 766, 771 ZPO wehren.
Rn 8
Eine Umschreibung eines Vollstreckungstitels wegen einer Nachlassverbindlichkeit ist gegen den vorläufigen Erben genauso wenig möglich wie das Erwirken eines derartigen Titels (Soergel/Naczinsky § 1958 Rz 6). Wird dennoch die Klausel erteilt, kann der vorläufige Erbe nach § 732 ZPO oder nach § 768 ZPO vorgehen (Brox/Walker Rz 306).
Rn 9
Die Führung von Aktivprozessen, die Einlassung auf Passivprozesse oder die Aufnahme eines laufenden Verfahrens gelten iÜ als Annahme der Erbschaft (NK-BGB/Ivo § 1943 Rz 12).
Rn 10
Macht der Nachlassgläubiger einen Anspruch gegen den Erben gerichtlich geltend, hat er die Annahme der Erbschaft durch den vorläufigen Erben darzulegen und ggf zu beweisen (Baumgärtel/Schmitz § 1958 Rz 1).
C. Ausnahmen.
Rn 11
§ 1958 findet keine Anwendung bei Nachlasspflegschaft, § 1960 III, Nachlassverwaltung, § 1984 I 3 und bei Testamentsvollstreckung, § 2213 II.
Rn 12
Will der Gläubiger bereits vor Annahme der Erbschaft gegen den Erben vorgehen, muss er nach § 1961 die Nachlasspflegschaft beantragen. Allerdings ist die Nachlasspflegschaft nicht geeignet, Verfügungen des vorläufigen Erben nach § 1959 zu verhindern. Str ist, ob er die Nachlassverwaltung beantragen kann; hierzu wird es aber vor der Erbschaftsannahme regelmäßig nicht kommen (Grüneberg/Wei...