Rn 10
Der Eintritt der Hemmung durch die Zustellung des Mahnbescheids (gleichgestellt ist der Zahlungsbefehl) setzt voraus, dass der auf Antrag erlassene und zugestellte Mahnbescheid wirksam ist. Wie bei der Klage bedarf es des Vorliegens der Grundvoraussetzungen eines Mahnbescheides iSd § 690 I Nr 1–3 ZPO, nicht jedoch der Zulässigkeit des Verfahrens überhaupt (Rn 4) oder der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts: Bei hinreichender Individualisierung (s.u.) des geltend gemachten Anspruchs wird dessen Verjährung auch dann gehemmt, wenn der Mahnantrag an Mängeln leidet oder sogar unzulässig ist (BGH 16.7.15 – III ZR 238/14 Rz 17) oder wenn für die darin erhobene Forderung – von der Sachbefugnis abgesehen – noch nicht sämtliche Anspruchsvoraussetzungen vorliegen (BGH NJW 12, 995 [BGH 21.12.2011 - VIII ZR 157/11] Rz 8). Allerdings kann die Berufung auf eine Verjährungshemmung durch einen mit der bewusst wahrheitswidrigen Erklärung, die Gegenleistung sei erbracht, erschlichenen Mahnbescheid rechtsmissbräuchlich sein (§ 242; BGH aaO; 23.6.15 – XI ZR 536/14 Rz 17; 16.7.15 – III ZR 238/14 Rz 18; 23.7.15 – XI ZR 536/14 Rz 16, 34). Auch die unwirksame Zustellung des Mahnbescheids hindert den Eintritt der Verjährungshemmung dann nicht, wenn der Anspruchsinhaber für die wirksame Zustellung alles aus seiner Sicht Erforderliche getan hat, der Anspruchsgegner in unverjährter Zeit von dem Erlass des Mahnbescheids und seinem Inhalt Kenntnis erlangt und die Wirksamkeit der Zustellung ebenfalls in unverjährter Zeit in einem Rechtsstreit geprüft wird (BGH NJW-RR 10, 1438 [BGH 26.02.2010 - V ZR 98/09] [Ls]). Notwendig ist eine ausreichende Individualisierung, also Kennzeichnung, die den Anspruch von anderen Ansprüchen so unterscheidet und abgrenzt, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein kann und dem Schuldner selbst die Möglichkeit gibt zu erkennen, welcher Anspruch gegen ihn geltend gemacht wird (BGH 25.4.17 – VIII ZR 217/16 Rz 12; 10.12.15 – III ZR 128/14 Rz 9; 25.3.15 – VIII ZR 243/13 Rz 63 f; NJW 09, 56 [BGH 21.10.2008 - XI ZR 466/07] Rz 18); insoweit kann auch eine Falschbezeichnung oder fehlerhafte Bezifferung unschädlich sein (BGH 8.5.18 – II ZR 314/16 Rz 13). Art und Umfang der erforderlichen Angaben sind vom Einzelfall abhängig (BGH NJW-RR 22, 1286 [BGH 14.07.2022 - VII ZR 255/21] Rz 27). Maßgeblich ist ausschließlich der Erkenntnishorizont des Schuldners (BGH NJW 23, 2773 [BGH 07.06.2023 - VII ZR 594/21] Rz 21). Bezugnahme auf Rechnungen oder andere Unterlagen kann reichen, wobei diese dem Mahnbescheid nicht in Abschrift beigefügt sein müssen, wenn sie dem Antragsgegner bereits bekannt sind (BGH NJW-RR 10, 1455 [BGH 14.07.2010 - VIII ZR 229/09] Rz 11). Im Einzelfall ist deren Mitteilung ganz entbehrlich, wenn die übrigen Angaben im Mahnbescheid eine Kennzeichnung des Anspruchs ermöglichen (BGH NJW 11, 613 [BGH 17.11.2010 - VIII ZR 211/09] Rz 11 ff: zur Bezeichnung ›Schadensersatz aus Mietvertrag‹; zum per E-Mail angekündigten Mahnbescheid BGH NJW 20, 3653 [BGH 17.06.2020 - VII ZR 111/19]). Eine Nachholung der Individualisierung im Streitverfahren wirkt nur ex nunc (Rn 11); auch bei Geltendmachung eines Teilbetrags aus mehreren Einzelforderungen, wenn im Mahnbescheid eine genaue Aufschlüsselung des eingeforderten Betrags auf die Einzelforderungen unterblieben ist (BGH NJW 09, 56 [BGH 21.10.2008 - XI ZR 466/07] Rz 20f). Wird jedoch ein aus mehreren Rechnungsposten zusammengesetzter Gesamtbetrag geltend gemacht, bedarf es nicht einer Aufschlüsselung im Mahnbescheid (BGH NJW 11, 613 [BGH 17.11.2010 - VIII ZR 211/09] Rz 14); die Substanziierung kann im Laufe des Rechtsstreits beim Übergang in das streitige Verfahren nachgeholt werden (BGH NJW 13, 3509 [BGH 10.10.2013 - VII ZR 155/11] Rz 16). Auch dann ist für die Individualisierung ausschließlich auf den Erkenntnishorizont des Schuldners abzustellen (BGH NJW 23, 2773 [BGH 07.06.2023 - VII ZR 594/21] Rz 22). Die Hemmung erfasst den prozessualen Anspruch (Rn 6; BGH 21.10.14 – XI ZB 12/12 Rz 146), auch subsidiäre Ansprüche und Folgeansprüche, wenn sie dem gleichen Endziel dienen und nicht wesensmäßig verschiedene Ansprüche sind. Bei verjährungsrechtlich selbstständigen Ansprüchen, die im Hinblick auf den relevanten Sachverhalt, die Anspruchsvoraussetzungen und die Rechtsfolgen wesensmäßig verschieden sind, bewirkt die für einen Anspruch ausreichende Individualisierung keine Hemmung für den anderen Anspruch. Soll ein einheitlicher Antrag auf unterschiedliche Lebenssachverhalte und damit verschiedene Streitgegenstände gestützt werden, muss dies im Mahnantrag hinreichend zum Ausdruck kommen (BGH NJW-RR 09, 544 [BGH 23.09.2008 - XI ZR 253/07] Rz 19: zur Angabe ›Schadenersatz wegen Beratungsverschuldens‹).
Rn 11
Die Hemmung beginnt grds mit der Zustellung (BGH NJW-RR 09, 1213 [KG Berlin 20.03.2009 - 9 W 49/09] Rz 19) des Mahnbescheids (§ 693 I ZPO). Die Nachholung der Individualisierung kann auch außerhalb des Gerichtsverfahrens erfo...