Prof. Dr. Gottfried Schiemann
Gesetzestext
(1) Ist das Vermächtnis eines Gegenstands, der zur Zeit des Erbfalls nicht zur Erbschaft gehört, nach § 2169 Abs. 1 wirksam, so hat der Beschwerte den Gegenstand dem Bedachten zu verschaffen.
(2) 1Ist der Beschwerte zur Verschaffung außer Stande, so hat er den Wert zu entrichten. 2Ist die Verschaffung nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich, so kann sich der Beschwerte durch Entrichtung des Wertes befreien.
Rn 1
Die Vorschrift regelt den Fall, dass der Erblasser entgegen der Vermutung nach § 2169 I ein Vermächtnis über einen Gegenstand angeordnet hat, der zur Zeit des Erbfalls nicht zum Nachlass gehört. Dann ist der Beschwerte nicht einfach zur Übertragung des Gegenstandes an den Bedachten verpflichtet (wozu er gar nicht in der Lage ist, wenn er nicht selbst Inhaber ist), sondern dazu, das Objekt zu verschaffen (daher ›Verschaffungsvermächtnis‹). Da der Beschwerte, va wenn er den Vermächtnisgegenstand nicht mit Mitteln des Nachlasses beschaffen kann, durch ein solches Vermächtnis erheblich belastet wird, sind an die Annahme eines Vermächtnisses dieses Typs hohe Anforderungen zu stellen. Die Rspr trägt dem Rechnung durch das Erfordernis einer ›besonderen Intensität des Verpflichtungswillens‹ beim Erblasser (BGH FamRZ 84, 41; Oldbg FamRZ 99, 532). Liegt hiernach ein Vermächtnis gem § 2170 vor, entspricht die Pflicht des Beschwerten derjenigen eines Verkäufers (Eigentumsübertragung, Rechtsverschaffung), allerdings außer bei einem Gattungsvermächtnis (§ 2183) ohne Gewährleistung wegen Sachmängeln. Die Rechtsmängelhaftung richtet sich hingegen nach § 2182 II u III.
Rn 2
Für die Verschaffung selbst ist danach zu unterscheiden, wem der Gegenstand gehört: Gehört er bereits dem Vermächtnisnehmer, ist das Vermächtnis selbst gegenstandslos (NK/Horn Rz 8), es sei denn der Wille des Erblassers ist erkennbar darauf gerichtet, dem Bedachten trotzdem den Wert oder den Beschaffungsaufwand zukommen zu lassen. Gehört der Gegenstand dem Beschwerten, bietet die Erfüllung keine Probleme. Allerdings ist § 2059 I zu beachten, wenn der Beschwerte Miterbe ist. Für die Vollstreckung gelten §§ 894, 897 ZPO (dazu genauer Staud/Otte Rz 16). Am kompliziertesten ist die Lage, wenn der Gegenstand einem Dritten gehört (wobei Dritter auch eine Gesamthandsgemeinschaft ist, deren Mitglied der Beschwerte selbst ist, vgl OLG Saarbr NJOZ 06, 3877). Von diesem kann der Bedachte nichts verlangen. Vielmehr muss er den Beschwerten darauf verklagen, die Bereitschaft des Dritten zur Übertragung an sich herbeizuführen. Die Vollstreckung erfolgt dann nach § 887 ZPO (dazu – einschließlich der Ermächtigung durch das Prozessgericht an den Bedachten und Vorauszahlung der Kosten durch den Beschwerten – Staud/Otte Rz 13, 14).
Rn 3
II enthält eine Sonderregelung zur Störung des Leistungsprogramms eines Verschaffungsvermächtnisses, die den Schuldner teilweise ggü dem Allgemeinen Schuldrecht privilegiert: Im Falle des Unvermögens bleibt er nicht – wie nach der allg Regelung des § 276 I 1 für das Beschaffungsrisiko – zur Primärleistung oder zu Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 281 ff verpflichtet, sondern schuldet Wertersatz. Die Möglichkeit, Wertersatz zu leisten, (Ersetzungsbefugnis) steht dem Schuldner als Privileg ggü der strengeren allg Opfergrenze nach § 275 II auch bei unverhältnismäßigen Aufwendungen für die Beschaffung zu. Hat der Beschwerte ein nachträglich eintretendes Unvermögen wegen Verschuldens oder Verzugs zu vertreten, gelten ebenso die allg Vorschriften wie bei nachträglicher objektiver Unmöglichkeit. Durch die Herbeiführung einer Haftungsbeschränkung kann sich der Beschwerte von der Verpflichtung aus I nicht befreien (Staud/Otte Rz 9). Durch Erhebung der Einrede des § 1992 kann er aber erreichen, dass er die Verpflichtung aus I nur gegen Bezahlung der Differenz zwischen dem Wert des Vermächtnisses und dem Nachlasswert zu erfüllen braucht (BGH NJW 64, 2298 [BGH 29.05.1964 - V ZR 47/62]). Sowohl die Voraussetzungen für den Übergang zum Anspruch aus II, als auch die Berechnung des Wertes bieten Anlass für Streit. Der Erblasser selbst sollte daher durch Festsetzung eines Endtermins für die Verschaffung und eines Wertes vorsorgen (NK/Horn Rz 10).