Prof. Dr. Martin Avenarius
Rn 20
Der Erblasser muss seine Verfügungen mit ernstlichem Testierwillen getroffen haben. Es genügt das Bewusstsein, dass die Urkunde als Testament aufgefasst werden könne. Bei einem formgerecht abgefassten und inhaltlich vollständigen Testament ist das idR nicht zweifelhaft (KG OLGZ 91, 148), weil die Form der Eigenhändigkeit ua gerade dazu dienen soll, Vorüberlegungen und Entwürfe von der maßgebenden Verfügung zu unterscheiden sowie eine erhöhte Sicherheit vor Verfälschungen des Erblasserwillens zu gewährleisten (BGHZ 80, 246, vgl Grundmann AcP 187, 429). Im Zweifelsfall ist eine Prüfung geboten, ob es sich bei der Urkunde nur um einen Entwurf (Karlsr FamRZ 23, 389) oder eine Ankündigung eines Testaments bzw eine Scherzerklärung handelt. Unter Berücksichtigung aller erheblichen, auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände sowie der Lebenserfahrung ist zu ermitteln, ob der Erblasser über sein Vermögen verbindlich von Todes wegen verfügen wollte, oder zumindest wusste, dass das Schriftstück als Testament angesehen werden könne (BayObLG FamRZ 05, 657; NJW-RR 89, 1092). Steht dies außer Zweifel, dann kann etwa in einem eigenhändig verfassten und unterschriebenen Brief ein formgültiges Testament enthalten sein (BayObLG FamRZ 01, 944; 03, 1786; Schlesw ZEV 10, 46; Muscheler ErbR 23, 259). Die Prüfung eines ernsthaften Testierwillens ist insb veranlasst, wenn die Verfügungen auf einer ungewöhnlichen Unterlage (BayObLG FamRZ 92, 226; 1207: gebrauchter Briefumschlag; BayObLG ZEV 00, 365: Testament im Notizbuch; Braunschw MDR 19, 873: Notizzettel; Hamm FamRZ 16, 1500) geschrieben wurden oder die Urkunde an einem ungewöhnlichem Ort (zB in einem Scheckheft) verwahrt wurde (BayObLG FamRZ 92, 1207). Gegen einen bloßen Entwurf kann sprechen, dass der Text zu kurz ist, um eines Entwurfs zu bedürfen (Köln 22.2.16 – 2 Wx 12/16). Ob die Urkunde die Überschrift ›Testament‹ oä trägt, ist unerheblich (BayObLG FamRZ 05, 657).
Rn 21
Der Wille, über das eigene Vermögen testamentarisch zu verfügen, schließt das Bewusstsein ein, dass frühere, entgegenstehende rechtsgeschäftliche Erklärungen wiederrufen werden. Ein hierauf besonders gerichtetes Erklärungsbewusstsein ist für einen solchen Widerruf nicht erforderlich (BGH ZNotP 18, 142 m krit Anm Muscheler 137).
Rn 22
Mehrere ›Testamente‹, die der Erblasser am selben Tag mit verschiedenem oder widersprüchlichem Inhalt gefertigt hat, sind nicht bloß aufgrund Einhaltung der Form als endgültige letztwillige Verfügungen zu betrachten (BayObLG FamRZ 89, 1124). Umgekehrt kann ein als ›Entwurf‹ bezeichneter Text formgültig sein (BayObLGZ 70, 179). In einer Vollmacht ist idR kein Testament zu sehen (vgl BayObLG FamRZ 00, 1539 für die bloße Bankvollmacht). Zu prüfen ist allerdings, ob es sich nur um eine falsche Bezeichnung handelt.
Rn 23
Der Testierwille muss während der Niederschrift nicht durchgehend vorhanden gewesen sein. So kann der Erblasser auch auf ein Schriftstück zurückgreifen, das er als früheres Testament oder zu anderen Zwecken niedergeschrieben hat, und dasselbe durch eigenhändige Ergänzung zu seinem nunmehr gewollten Testament vollenden (BayObLGZ 84, 197; Zweibr FamRZ 98, 581). Mehrere Blätter bilden nur dann ein einziges Testament, wenn sie inhaltlich ein Ganzes bilden, eine einheitliche Willenserklärung enthalten und die Unterschrift dieselbe abschließt (Köln NJW-RR 14, 1035 [OLG Köln 14.02.2014 - 2 Wx 299/13]).