Prof. Dr. Martin Avenarius
Gesetzestext
(1) Wer ein Testament, das nicht in besondere amtliche Verwahrung gebracht ist, im Besitz hat, ist verpflichtet, es unverzüglich, nachdem er von dem Tode des Erblassers Kenntnis erlangt hat, an das Nachlassgericht abzuliefern.
(2) 1Befindet sich ein Testament bei einer anderen Behörde als einem Gericht in amtlicher Verwahrung, so ist es nach dem Tode des Erblassers an das Nachlassgericht abzuliefern. 2Das Nachlassgericht hat, wenn es von dem Testament Kenntnis erlangt, die Ablieferung zu veranlassen.
Rn 1
Die Ablieferungspflicht bezieht sich auf alle Urkunden, die nach Form oder Inhalt Testament sein können, also auch auf Schriftstücke mit zweifelhafter Testamentsqualität (BayObLG Rpfleger 84, 19). Es kommt nicht darauf an, ob sie offen oder verschlossen sind. Auch ungültig errichtete oder widerrufene Testamente müssen abgeliefert werden. Die Vorschrift gilt für einseitige Testamente ebenso wie für gemeinschaftliche. Nach BayObLG FamRZ 88, 659 soll sich die Ablieferungspflicht nicht auf eine Mehrzahl unbestimmter Schriftstücke beziehen, unter denen sich ein Testament befinden könnte (zust Staud/Baumann Rz 5 u 8); es ist allerdings zu beachten, dass die Möglichkeiten des Gerichts zu Ermittlungen gem § 26 FamFG nicht von vornherein beschnitten werden dürfen. Von der Ablieferungspflicht erfasst ist jeweils die Urschrift, und wenn es mehrere gibt, alle. Ist die Urschrift verloren, müssen jedenfalls beglaubigte Abschriften abgeliefert werden (Staud/Baumann Rz 11). Für einfache Kopien muss dies ausnahmsweise gelten, wenn sie zum Beweis des Inhalts einer nicht mehr vorhandenen Urschrift geeignet sind. Die Verletzung der Ablieferungspflicht kann zu Schadensersatzansprüchen (§ 823; vgl Hambg FamRZ 22, 1399; Brandbg ZEV 08, 287), Erbunwürdigkeit (§ 2339 I Nr 4) sowie Strafbarkeit (§ 274 I Nr 1 StGB) führen.
Rn 2
Das Nachlassgericht kann die Ablieferung auf Antrag oder vAw verfügen oder betreiben (§ 35 FamFG; vgl BayObLG aaO). Teilweise wird vertreten, die ›Beteiligten‹ könnten auf Herausgabe an das Nachlassgericht klagen (Grüneberg/Weidlich Rz 4); dagegen ist einzuwenden, dass es für ein solches Verfahren schon an der Anspruchsqualität der Norm, jedenfalls aber am Rechtsschutzinteresse fehlt (Jauernig/Stürner Rz 2).
Rn 3
Ablieferungspflichtiger ist der unmittelbare Besitzer (vgl § 857) der Urkunde (BayObLG aaO), auch ggf der Mitbesitzer bzw die verwahrende Behörde (II). Darunter fällt auch der Notar. Seit dem 1.1.12 werden Verwahrangaben über amtlich verwahrte erbfolgerelevante Urkunden in das Zentrale Testamentsregister der Bundesnotarkammer aufgenommen (G v 22.12.10, BGBl I, 2255; dazu Diehn NJW 11, 481). Die Mitteilungspflicht des Gerichts regelt § 347 FamFG.
Rn 4
Die Eröffnung des Testaments durch das Nachlassgericht oder ein anderes Gericht, bei dem sich das Testament ggf in amtlicher Verwahrung befindet, erfolgt gem §§ 348–351 u 357 FamFG.